Selbstständig und glücklich?

Heißluftballon, der schwebt

Letztes Update: 22.6.2019. Das Update finden Sie am Ende des Artikels. Und inzwischen ist so viel passiert, das schon wieder ein Update notwendig wäre. Das folgt demnächst! :)  

„Seid ihr glücklich als Selbstständige?“, diese Frage hat Peer Wandiger in seiner Blogparade gestellt. Er hat auch gefragt, was für eine/-n als Selbstständige/-n Glück bedeutet, was man macht, um glücklich zu sein, was einen unglücklich macht und ob man Tipps für andere Selbstständige und solche, die es noch werden wollen, hat.

 

Das Thema spricht mich an, sehr sogar, und ich denke, dass es auch für viele von Ihnen interessant ist, daher mache ich mit!

Meine Geschichte: Von der Universität in die Selbstständigkeit

Nachdem ich BWL und Kunstgeschichte studiert hatte und zehn Jahre am Kunsthistorischen Institut der Universität Wien als Assistentin befristet angestellt war, hat mich das System Universität im Februar 2007 auf die Straße gespült – und zwar aufgrund einer Gesetzesänderung um zwei Jahre früher als geplant. Wums!

 

Um abgesichert zu sein, habe ich mich dann erst einmal arbeitslos gemeldet und Stellenanzeigen studiert, um einen Job im Bereich der Kunstgeschichte zu finden. Am liebsten wäre mir damals eine Anstellung im universitären Bereich oder in der Denkmalpflege gewesen. Parallel zu meiner Suche habe ich unbezahlte Projekte aus meiner Zeit an der Uni abgeschlossen.

 

Im Jänner 2008, also elf Monate später, habe ich dem Arbeitsamt den Rücken gekehrt und mich für die Selbstständigkeit entschieden. Der Grund? Es gab Arbeit als Kunsthistorikerin. Hurra! Die war nicht gut bezahlt, aber immerhin. Arbeit ist Arbeit (dachte ich damals zumindest).

 

Gleichzeitig habe ich weiter nach einer Stelle gesucht. Am liebsten hätte eine Juniorprofessur angetreten, die es in Deutschland gibt. Schließlich hatte ich ja eine universitäre Karriere im Auge, liebte Lehre sowie Forschung, war in beiden erfolgreich und konnte mich auch für organisatorische Fragen des Universitätsbetriebs begeistern. Diese Professorenstellen waren aber von den Kompetenzen immer so speziell ausgeschrieben, dass klar war: Die Stelle sollte an eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des ausschreibenden Instituts vergeben werden. Keine Chance für Außenstehende!

 

Im Sommer 2011 habe ich dann beschlossen, die Idee, mich zu habilitieren, zu begraben. Adieu Uni-Karriere, adieu Professur! Auch Plan B, den ich im Kopf hatte, nämlich mir einen Job in einem Unternehmen zu suchen (schließlich habe ich ja auch BWL mit den Schwerpunkten Marketing, Werbung und Marktforschung studiert), habe ich verworfen. Rückblickend kann ich sagen: Die Entscheidung war absolut richtig!

 

Ich habe damals nämlich zum ersten Mal erkannt: Ein Angestelltendasein ist nichts für mich. Als universitäre/-r Mitarbeiter/-in arbeitet man zwar sehr viel (ich habe deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche gearbeitet), doch hat man als Wissenschaftler/-in wenigstens noch zeitliche Spielräume. Bei Plan B hätte es die nicht gegeben.

 

Im Sommer 2011 ist mir klar geworden, dass ich aber genau diese Spielräume brauche. Vom Arbeitgeber überwacht (am Ende auch noch durch eine Stechuhr) von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr zu arbeiten, ist für mich unvorstellbar.

Und noch etwas wollte ich nicht: Aussagen wie „Frau Weigl, das geht nicht“ oder „Das funktioniert nicht“. Mich interessiert, was geht, und nicht, was nicht geht. Ich suche sofort nach Lösungen, wenn etwas nicht geht, ich kann gar nicht anders. Und es macht mich hibbelig, wenn ich einen Prellbock vorgeschoben bekomme, den ich allein nicht oder nur schwer wergräumen kann.

 

Aber zurück zum Sommer 2011. Gleichzeitig mit der Entscheidung, selbstständig zu bleiben, ist mir u:start begegnet – ein Mentoringprogramm der Universität Wien, das Akademiker/-innen in Form von Wissensvermittlung unterstützt (Begleitung bei der Erstellung eines Businessplans). Im Rahmen dieses Programms habe ich die „Schreibwerkstatt“ gegründet.

 

Für mich war das gefühlsmäßig ein großer Unterschied zu den Jahren unmittelbar davor: Ich war nun nicht nur selbstständig, ich war Unternehmerin. Ich hatte mein eigenes Unternehmen – mein Kind, wenn man so will, um dessen Wohlergehen und Gedeihen ich mich ab sofort kümmern wollte.

 

Aufträge waren gleich da. Bis es so weit war, dass ich von der „Schreibwerkstatt“ aber auch leben konnte, ohne von meinen Reserven aus den Zeiten meines Angestelltendaseins dazuzubuttern (zum Beispiel, wenn ich auf Urlaub fahren wollte oder ein Autoservice anstand), hat es doch gute drei Jahre gedauert.

 

Trotzdem habe ich in der Startphase der „Schreibwerkstatt“ in mich selbst investiert und mit dem einjährigen Social-Media-Manager-Diplomlehrgang an der Werbeakademie Wien noch eine Ausbildung gemacht. Letztendlich habe ich mich in dieser Zeit auch meinem zweiten Standbein zugewandt, der BWL. Das Ganze – Betriebswirtschaft, Marketing, Social Media – hat mich, auch zu meiner eigenen Überraschung, genauso in seinen Bann gezogen, wie es davor jahrelang nur die Kunstgeschichte getan hatte. Und dabei ist es geblieben.

Glück

Ja, ich bin als Selbstständige glücklich! Aber warum? Glück steht selten auf einer Säule. So ist es auch bei mir.

Entscheidungsfreiheit

Ich bin glücklich, weil ich als Selbstständige entscheiden kann, was ich mache und was nicht. Wenn ich beschließe, etwas nicht zu tun (also, etwa einen Auftrag nicht anzunehmen), dann trage ich auch voll und ganz die Konsequenzen, aber ich kann entscheiden. Niemand redet mir drein und sagt, was ich tun und lassen soll.

 

Außerdem bin ich dankbar, entscheiden zu können, mit wem ich arbeite. Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmer/-in und Kundin/Kunde zusammenpassen müssen, damit die Zusammenarbeit erfolgreich ist. Daher schaue ich genau hin und höre aber auch auf mein Bauchgefühl. Gleichzeitig muss ich sagen, dass mich doch zu 90 % auch die richtigen Menschen finden (und ich sie).

Das hat u. a. mit meiner Website zu tun, die – wie sich inzwischen erwiesen hat – zeigt, wie ich arbeite und was mir wichtig ist, auch auf der menschlichen Seite, weil es in der Selbstständigkeit permanent um Lösungen geht. Sowohl bei meinen Kundinnen und Kunden als auch intern in der „Schreibwerkstatt“. Wenn Weg A nicht funktioniert, muss ein Weg B her. Alle Menschen, mit denen ich zu tun habe (dazu zählt auch mein kleines Team, das übrigens auch nur aus Selbstständigen besteht), interessiert nur, was wie umsetzbar ist. Über den Rest denken wir erst gar nicht nach.

Zeitliche Flexibilität: Glücklich mit Migräne

Ich bin glücklich, weil ich mir den Großteil der Zeit selbst einteilen kann. Ich arbeite viel, in der Regel mehr als 40 Stunden pro Woche, aber ich entscheide, wann ich arbeite (eine Ausnahme sind natürlich Tage, an denen ich Kundengespräche führe oder Workshops halte).

 

Und da kommt ein wichtiger Punkt ins Spiel: Ich bin Migränikerin. Bei Migräne hat man nicht einfach nur banale Kopfschmerzen, sondern Schmerzen, die eine besondere Qualität im negativen Sinn haben. Kopfschmerzen "führen zu einem großen Leidensdruck und zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität und der Arbeitsfähigkeit. Die Weltgesundheitsorganisation listet die Migräne auf Platz 7 der am schwersten behindernden Erkrankungen. Nimmt man alle Kopfschmerzen zusammen, stehen Kopfschmerzen auf Platz 3 der am schwersten behindernden Erkrankungen des Menschen"(Quelle).

Seit inzwischen 20 Jahren ist diese Krankheit meine Begleiterin (es hat sich viel geändert; siehe das Update!), an mehreren Tagen im Monat. Trotz hervorragender neurologischer Begleitung und diversen medikamentösen und nicht-medikamentösen Prophylaxeversuchen hat sich an der Migräne und ihrer Häufigkeit in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Wenn eine Attacke beginnt, versuche ich sie frühzeitig mit Spezialmedikamenten (Triptanen) abzufangen – das klappt fast immer. Jedenfalls musste ich in 20 Jahren bislang nur zweimal einen beruflichen Termin wegen Migräne absagen. Aber natürlich fühle ich mich trotz gestoppter (besser: durch Medikamente abgedeckter) Migräne nicht in Höchstform ...

 

Meine Selbstständigkeit erlaubt es mir, auf die Erkrankung Rücksicht zu nehmen. Allerdings musste ich erst lernen, die Spielräume auch auszuschöpfen. Inzwischen kann ich das, wenn auch manchmal noch zu wenig. Das bedeutet auch zu akzeptieren, dass ich zwar leistungsfähig bin, aber doch anders funktioniere als Menschen ohne Migräne.

 

Ich kann (oft, nicht immer) 40 Stunden pro Woche arbeiten, aber nicht montags bis freitags von … bis … An Migränetagen setze ich mich oft erst um 10 Uhr oder später an den Schreibtisch. Oder ich lasse einen (Arbeits-)Tag einmal ganz sausen, weil es nicht anders geht, und arbeite dann am Wochenende.

 

Vor einigen Jahren war es übrigens für mich noch unvorstellbar, öffentlich über die Migräne zu sprechen oder gar zu schreiben. Kaum jemand in meinem Arbeitsumfeld wusste, wie stark ich davon betroffen bin. Inzwischen hat sich mein Selbstwertgefühl stark geändert, was auch an der Selbstständigkeit liegt, bei der ich keine Sanktionen befürchten muss, wenn ich eben einmal nicht funktioniere. Ich kann mit der Erkrankung offen umgehen, ich habe sie ganz gut akzeptiert.

 

Und wenn ich hier so offen darüber schreibe, dann vor allem deshalb, weil ich anderen Mut machen möchte – und damit meine ich längst nicht nur Migräniker/-innen. Es gibt zig andere Erkrankungen, die das Leben stark beeinträchtigen. Wer sich nicht versteckt (verstecken muss), ist viel freier. Interessanterweise öffnen sich auch andere Menschen, sobald sie merken oder hören, dass das Leben anderer gar nicht so glatt und problemlos verläuft, wie es nach außen wirkt. Mit diesem Blogartikel möchte ich also anderen auch Mut machen, sich das Leben so angenehm wie möglich einzurichten. Wir haben nämlich nur dieses eine! Das vergessen wir manchmal. Für mich hat also der Schritt in die Selbstständigkeit ganz entscheidend dazu beigetragen, dass ich – trotz Migräne – glücklich bin.

Leistung wird honoriert und Chance zum Wachstum

Wer als Selbstständige/-r gute Arbeit erbringt, eine bestimmte Nachfrage deckt und dann auch noch etwas von Marketing versteht, wird zwangsläufig erfolgreich sein. Leistung wird, das ist meine Erfahrung, sowohl durch Anerkennung als auch finanziell honoriert. Allerdings liegt es auch stark an einem selbst, dass die finanzielle Seite stimmt. Viele Selbstständige, vor allem im Dienstleistungsbereich, können ihre Arbeit nicht verkaufen und/oder setzen ihr Honorar zu niedrig an. Auf Dauer wird man damit nicht glücklich. Für mich hat Glück auch mit Geld zu tun, denn das Geld trägt dazu bei, dass ich so leben kann, wie ich es mir wünsche.

Unglück

Peer Wandiger fragt in seiner Blogparade auch: „Welche Dinge machen dich als Selbstständige/-r unglücklich?“ Diese Frage ist rasch beantwortet. Unglücklich bzw. unzufrieden machen mich 

  • zu großer Zeitdruck,
  • fehlende Wertschätzung (auch finanziell),
  • uninteressante Aufgaben,
  • Neid,
  • unfaires Verhalten und
  • ständiges Jammern statt Tun.

 

Alle diese Punkte versuche ich logischerweise zu vermeiden, soweit ich selbst einen Einfluss darauf habe.

 

Meine Tipps für Sie

Im Rahmen der Blogparade soll man auch anderen praktische Tipps geben, um glücklicher zu werden. Das mache ich gerne!

Vollgas oder sanfter Start?

Ich habe mir lange Zeit wieder eine fixe Stelle gewünscht. Heute möchte ich für kein Geld der Welt mehr angestellt sein. Meine Stelle war befristet und ist ausgelaufen. Ich war erst einmal arbeitslos und habe dann den Schritt in die Selbständigkeit gewagt

Viele Menschen haben aber auch die Möglichkeit, den Übergang in die Selbstständigkeit sanfter zu gestalten. Etwa, indem sie die Stundenzahl im Job reduzieren und ihr eigenes Geschäft parallel dazu aufbauen. Behalten Sie diesen Weg, in Abhängigkeit von ihren finanziellen Möglichkeiten bzw. ihrem finanziellen Puffer, im Auge. 

Businessplan: Es zahlt sich aus, zu rechnen

Erstellen Sie zu Beginn einen Businessplan. Wenn Sie das bislang nicht gemacht haben und Ihr Geschäft nicht gut läuft, holen Sie das nach. Es zahlt sich aus, strukturiert über das nachzudenken, was Sie die nächsten Jahre machen wollen und womit Sie Ihren Unterhalt bestreiten wollen. Das inkludiert das Rechnen! Für uns Teilnehmer/-innen von u:start war es ein ganz schönes Aha-Erlebnis, als wir feststellen mussten, dass wir Einnahmen von etwa 4.500,– Euro brutto pro Monat stemmen müssen, damit uns etwa 1.800,– Euro pro Monat bleiben (ohne ein 12. oder 13. Monatsgehalt!).

Ein Geschäft aufzubauen, ist harte Arbeit

Es ist eine echte Hacke, ein Business aufzubauen. Nach außen hin wirkt vieles leicht. Mir hat das, was notwendig war, um die „Schreibwerkstatt“ zum Laufen zu bringen, immer Spaß gemacht, aber es ist mir nichts zugeflogen. Es war und ist harte Arbeit.

Ohne Marketing geht es nicht!

Verabschieden Sie sich von der Idee, dass es genügt, gut zu sein. Also, ein guter Webdesigner, eine gute Programmiererin, eine gute Yogalehrerin, ein guter Masseur, ein guter Dolmetscher, eine gute Lektorin, ein guter Klavierlehrer, ein guter Texter etc. Ohne Marketing geht nichts!

 

Wenn Sie sich selbstständig machen, steht niemand vor Ihrer Tür, nur, weil Sie Ihr Handwerk verstehen. Sie müssen im Marketing fit sein oder werden. Im Verborgenen blüht es sich nicht gut. Sicherlich können Sie das eine oder andere auslagern (zum Beispiel das Aufsetzen der Website), aber vermutlich werden Sie, zumindest zu Beginn, nicht das Budget haben, alles, was Ihr Geschäft zum Laufen bringt, an Externe zu vergeben.

Daher: Freunden Sie sich mit der Idee an, sich mit Fragen des Marketings zu befassen. Lesen Sie Bücher, lesen Sie Blogartikel, besuchen Sie Kurse. Das Wissen ist da, Sie müssen es sich nur aneignen. Und vergessen Sie alle Onlinekurse, die in Richtung „Reich werden über Nacht“ gehen. Damit wird nur einer reich: der, der den Kurs verkauft.

Homeoffice oder Büro?

Wenn Sie ein Einpersonenunternehmen gründen, überlegen Sie, ob Sie im Home Office glücklich werden. Manchen Menschen fällt dort schnell die Decke auf den Kopf. Ich habe mich gleich nach der Gründung der „Schreibwerkstatt“ für ein Büro in einer Bürogemeinschaft entschieden und arbeite sowohl dort als auch zu Hause. Für mich war das der richtige Weg.

Pflegen Sie Ihr Netzwerk

Pflegen Sie Ihre Beziehungen – zu Freunden, aber auch zu beruflichen Kontakten. Emotional in ein Netz eingebettet zu sein, ist in meinen Augen etwas ganz Wichtiges.

Kümmern Sie sich um Körper und Seele

Und vergessen Sie Körper und Seele nicht. Die Selbstständigkeit verleitet rasch dazu, viel zu arbeiten, oft auch zu viel – und zwar sowohl, wenn das Geschäft nicht läuft als auch wenn es läuft. Spaß an der Arbeit ist ein wunderbarer Motor, birgt aber auch Gefahren (ich spreche aus Erfahrung). Die Gesundheit ist das wichtigste Kapital und Selbstständige haben von staatlicher Seite keinen Rückhalt. Hören Sie auf Körper und Seele, sie sind wichtige Wegbegleiter auf dem Weg zu einem Leben in Balance.

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Update (Juni 2019)

Ende 2018 habe ich mein Büro samt Seminarraum im Media-Quarter-Marx aufgegeben. Ich habe es zuletzt nur mehr wenig genutzt. Genau genommen arbeite ich nämlich gerne im Homeoffice und für meine Workshops gibt es in einer Großstadt wie Wien viele wunderschöne Räume, die ich flexibel anmieten kann. Rückblickend kann ich jetzt nach einem halben Jahr sagen: Die Entscheidung das Büro zu kündigen, war goldrichtig.   

 

Nachdem ich fast 25 Jahre lang an durchschnittlich 10 Tagen im Monat Migräne hatte, hat sich die Frequenz seit ein paar Monaten auf 2–3 Migränetage eingependelt. Ein neues Leben!

Abbildungsnachweis:

Abbildung ganz oben: Pixabay.com, EnricoDias

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