Warum sind wissenschaftliche Texte oft so schwer verständlich? Ein Plädoyer für eine klare Sprache

Wissenschaftssprache


Manchmal kommen verschiedene Dinge zusammen und dann muss es einfach sein ... In meinem Fall bedeutet dies: Dann muss ich ein Thema in einem Blogartikel aufgreifen! 
Aber der Reihe nach: Gestern hatte ich ein Treffen mit einem Verleger, bei dem es u. a. um die Frage gegangen ist, wie man wissenschaftliche Ergebnisse für ein breites Publikum aufbereitet und warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu oft nicht in der Lage sind.

Und just heute erscheint ein Artikel von Tanja Ziegler auf der Website von " Bayern 2", der den Titel "Notwendiger Expertenjagon oder Fachchinesisch?" trägt. In dem Artikel stellt Tanja Ziegler die Frage, ob "die Sprache, in der uns Physiker, Mediziner oder Philosophen die Welt erklären, [...] kompliziert und schwer verständlich sein" muss


Das Thema finde ich deshalb so interessant, weil ich ja selbst ursprünglich aus dem Wissenschaftsbereich komme (ich war lange an der Universität Wien tätig), weil ich weiterhin als Wissenschaftlerin arbeite, aber eben auch Schreibcoach und Texterin bin. Ich gehöre also zwei Welten an.

 

Die Frage, die Tanja Ziegler stellt, ist wohl weder mit einem klaren Ja noch mit einem Nein zu beantworten. Letztendlich kommt es immer auf die Zielgruppe an, für die man schreibt. Also: Schreibt eine Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler für die "scientific community" oder für ein interessiertes Laienpublikum?

Schreiben für die "scientific community"

Wer für die "scientific community" schreibt, kann bei den Leserinnen und Lesern ein bestimmtes Wissen voraussetzen und die Fachterminologie getrost verwenden.

Ein Text, der sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wendet, muss jedoch keineswegs kompliziert formuliert sein! Viele dieser Texte bestehen trotzdem aus Mammutsätzen oder verdrehten und verschachtelten Sätzen. Aufbau und Argumentation sind kompliziert.

Das hat zur Folge, dass man der Autorin oder dem Autor nur schwer folgen kann. Man ist gezwungen einzelne Sätze bzw. Textpassagen mehrmals zu lesen, um zu verstehen, worum es hier eigentlich geht. Eine Zumutung!

Warum aber schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so kompliziert?

 Ich sehe drei Gründe:

  • "Wissenschaftssprache" generiert "Wissenschaftssprache": Im Studium sind Studierende mit unzähligen schlecht formulierten Wissenschaftstexten konfrontiert. Viele Studierende meinen, sich ähnlich ausdrücken zu müssen wie die Autorinnen und Autoren, deren Texte sie lesen. Lehrende beklagen häufig die schlechte Ausdrucksweise der Studierenden, sprechen mit ihnen aber zugleich fast nie über die Sprache der Wissenschaftstexte. 
  • Mangelnde Reflexion: Die wenigsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denken über den eigenen Schreibprozess nach. Dass es Methoden gibt, mit denen man den schriftlichen Ausdruck verbessern kann, ist den wenigsten bewusst oder es interessiert sie schlichtweg nicht. Der Besuch eines Schreibworkshops ist für viele etwas völlig Abwegiges. Und damit sind wir beim dritten Punkt.
  • Fehlende Notwendigkeit, es anders zu machen: Wenn ein wissenschaftlicher Text wichtige Ergebnisse beinhaltet, wird er auf jeden Fall gelesen – egal, ob er gut oder schlecht formuliert ist. Im Unterschied zu anderen Autorinnen und Autoren müssen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler letztendlich gar nicht darum bemühen, verständlich zu schreiben. 

 

Schreiben für ein breites Publikum

Texte, die sich an ein breites Publikum wenden, müssen besonders gut aufbereitet und in einer klaren Sprache verfasst sein. Natürlich kann man den einen oder anderen Fachbegriffe verwenden, aber man muss ihn erklären. Das Vorwissen der Leserschaft ist ja ein anderes.

Die verständliche Vermittlung von Fachwissen an eine breite Öffentlichkeit fällt vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schwer. Sie stecken oft so tief in ihrer Materie, dass es ihnen nicht gelingt, einen Blick aus der Vogelperspektive auf ihr Thema zu werfen. 

 

Änderung in Sicht?

Vielleicht. Aber nur dann, wenn ...

  • an den Universitäten in Zukunft vermehrt Schreibkompetenz vermittelt wird.
  • ein Umdenkprozess einsetzt. Wenn also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beginnen, über ihr eigenes (Schreib-)Tun nachzudenken und die Bereitschaft entwickeln, sich für Neues zu öffnen und Neues zu lernen.
  • Förderinstitutionen die Vergabe von finanziellen Mitteln an einen breiten Wissenstransfer koppeln. Auf diese Weise ließe sich der Umdenkprozess möglicherweise beschleunigen. 

 

Susanne Weiss und Michael Sonnabend haben es in ihrem Buch "Schreiben, Bloggen, Präsentieren. Wege der Wissenschaft in die Welt. Eine Reputationswerkstatt (Edition Stifterverband, Essen 2011) auf den Punkt gebracht. Auch, wenn es viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht glauben wollenEs geht letztendlich um die Reputation der Wissenschaft!

Langatmige und umständlich formulierte Texte sind eine Zumutung. Susanne Weiss und Michael Sonnabend (S. 9) haben "genug von all den Jargonschwätzern, die [...] sprachliche Verwahrlosung gepaart mit Verdunkelungsabsichten als 'wissenschaftliches Niveau' verkaufen wollen, das nun einmal komplex und schwer verständlich sei ..." Dem schließe ich mich an. Es wäre schön, wenn die Wissenschaft stärker den Weg in die Welt fände. 

 

Weiterführend


>> Radiosendung auf Bayern 2, 4.9.2012, 18:05–18:30

Die Sendung kann als Podcast nachgehört werden.

>> Susanne Weiss und Michael Sonnabend, Schreiben, Bloggen, Präsentieren. Wege der Wissenschaft in die Welt. Eine Reputationswerkstatt, Essen 2011
Das lesenswerte Buch ist beim Stifterverband oder im Buchhandel um günstige 12,90 Euro erhältlich.

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