Ich schaffe die Uni-Arbeit nicht! Ich genüge nicht!

Wie du die unfreundliche Stimme in dir wandelst und dich mit mehr Wohlwollen und Leichtigkeit an dein Schreibprojekt machst 💙

Hast du dir schon einmal zugehört, was du dir den lieben langen Tag so erzählst, wenn es um deine Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation geht? Die meisten Studierenden sagen sich Sätze wie diese:

 

😢 Ich schaffe das nicht.

😢 Du wirst nie fertig werden.

😢 Ich kann das nicht.

😢 Ich genüge nicht.

😢 Die anderen sind viel schneller/besser als ich.

😢 Du bist zu dumm dafür.

😢 Jetzt zeigt es sich, dass du eben doch total überfordert bist.

 

Negative Glaubenssätze

Es gibt viele Gründe, die zu Schreibblockaden führen können. Selten liegt es an einer einzigen Ursache, wenn jemand mit seiner Uni-Arbeit oder FH-Arbeit nicht gut vorankommt. Meist ist es ein Mix aus verschiedenen Gründen. Negative Glaubenssätze gehören zu diesem Mix dazu und sind extrem belastend! 

 

Stell dir einmal vor, du wärst Trainerin oder Trainer einer Handballmannschaft (um den Sport zu nennen, den ich 17 Jahre so gern gemacht habe). Und in dieser Funktion sagst du deinem Team immer vor und nach dem Training und natürlich vor dem Match:

 

🏀 Das schafft ihr nie.

🏀 Ihr könnt das nicht.

🏀 Die gegnerische Mannschaft ist viel besser als ihr.

🏀 Ihr seid zu dumm dafür.  

 

Wie denkst du, dass es deinem Team geht? Wirst du es zum Sieg führen?

Wohl kaum. Aber vermutlich sprichst du genau so mit dir und möchtest gleichzeitig gut vorankommen. Das kann nicht funktionieren!

 

Wenn du nicht so mit dir redest, kannst du jetzt übrigens aufhören zu lesen. Wenn du diese unfreundliche Stimme aber kennst, möchte ich dir ein paar Hebel zeigen, wie du sie wandeln kannst. Ich spreche im Folgenden übrigens von "uns", denn auch ich kenne solche Glaubenssätze.

 

Wie wir die unfreundliche innere Stimme wandeln können 💙

Schritt 1: Zuhören!

Im ersten Schritt ist es ganz wichtig, dass wir überhaupt erst einmal wahrnehmen, wie wir mit uns reden – auch wenn die Stimme echt grauslich ist, wie wir in Wien gern sagen (grauslich = schrecklich).

Raus aus dem Automatismus, hinhören! 

 

Noch besser: Schreibe mal ein paar Tage lang auf, was du dir so selbst alles erzählst, wie du mit dir sprichst. Und dann nimm deine Liste und lies dir laut vor, was da steht. Spüre hin, wie sich das im Körper anfühlt.

 

Schritt 2: Verstehen, woher diese so unfreundliche Stimme kommt!

Im zweiten Schritt ist es wesentlich zu verstehen, woher diese Stimme kommt: Sie kommt aus unserer Kindheit, und genau deshalb ist es so schwer, sie zu verändern. 

 

Warum ist es so schwer, freundlich mit uns selbst zu reden?

Das ist an dieser Stelle eine ganz wichtige Frage. Können wir nicht einfach freundlich mit uns sein und bitte nur positiv denken? Warum können wir nicht einfach automatisch freundlich mit uns sprechen?

 

Das hat mit unserem Gehirn zu tun: Wir kommen mit einer weitgehend unbeschriebenen Festplatte im Kopf auf die Welt. Unsere Eltern und andere Bezugspersonen beschreiben die Festplatte mit ihrem Verhalten und ihren Worten. Wie sie mit uns umgehen, was sie zu uns sagen etc. ist entscheidend – und da läuft meist einiges schief (dieser Artikel gibt einen guten Überblick über Formen des emotionalen Missbrauchs).

 

Es wird also, wenn du so möchtest, das falsche Programm aufgespielt, und ein Programm lässt sich eben nicht so einfach ändern. 

 

Mit krampfhaft positivem Denken, mit Affirmationen oder Weghaben-Wollen ist es nicht getan, auch wenn uns Ratgeber das gern versprechen. 

 

Persönlichkeitsanteile verstehen

In der frühesten Kindheit formt sich im Kontakt mit unseren Eltern und anderen Bezugspersonen unsere Persönlichkeit. Das Gehirn spielt dabei, wie du jetzt schon weißt, eine ganz wesentliche Rolle.

 

Die unfreundliche Stimme in uns ist ein Persönlichkeitsanteil. Ein Anteil von vielen. Innere Anteile werden durch die Erfahrungen geprägt, die wir in der Kindheit machen. Im Laufe unseres Lebens kommen neue Anteile dazu und manche Anteile entwickeln sich weiter. 

 

Anteile, die uns als Erwachsene das Leben schwer machen, sogenannte destruktive Anteile, mit denen wir uns selbst (weiterhin) verletzen, weisen auf Stress hin, dem wir schon in den frühesten Jahren ausgeliefert waren:

 

  • Wir wurden nicht nur einmal abgewertet, sondern oft oder sogar laufend.
  • Wir wurden mit unseren Bedürfnissen nicht wahrgenommen.
  • Wir mussten unsere Gefühle von uns abspalten, weil unsere Bezugspersonen nicht mit unseren Tränen, unserer Wut etc. umgehen konnten.
  • Wir haben versucht, uns durch "braves" Verhalten die Liebe unserer Eltern zu sichern, weil der Liebesentzug zu den schmerzhaftesten Dingen gehört, die ein Baby oder Kleinkind erleben kann.

Und so weiter ...

 

Wenn du im Reflexionsprozess herausfindest, was deine Unfreundlichkeit und Abwertung in Bezug auf deine Uni-Arbeit genau mit deiner Kindheit zu tun haben (vielleicht auch mit deiner Schulzeit), ist das hilfreich, aber es ist kein Muss. Mach dir keinen Druck, denn auch der ist wieder etwas Altes, etwas Schmerzhaftes. Lass dir Zeit! Anteile in uns zu wandeln, ist ein Prozess. 

 

Schritt 3: Erkennen, dass die negative Stimme nur ein Teil in uns ist!

Ein Schritt, um die Glaubenssätze rund um die Uni-Arbeit (und um die geht es hier ja) zu wandeln, ist ganz wichtig, nämlich dass du merkst: "Diese Stimme ist nur ein Teil in mir."

 

Es ist ein guter Weg, wenn du dir sagst: "Ah, ein Teil in mir denkt gerade, das schaffe ich nicht." Oder: "Ah, da ist sie wieder, diese Stimme. Ein Teil denkt, ich genüge nicht. Wie interessant!"

 

So bekommst du Distanz zu dieser harten Stimme, die dich so furchtbar runterzieht. Du kannst dich aus der Identifizierung mit ihr leichter lösen.

 

Denn tatsächlich gibt es, wie ich dir weiter oben schon erzählt habe, neben diesem einen Teil weitere Teile: auch sehr tatkräftige, die in deinem Leben schon viel bewegt haben. Und die gilt es eben auch wahrzunehmen!

 

Schritt 4: Hinschauen, welche Teile wir noch in uns tragen

Wir tragen viele Teile in uns, verwundete, unsichere, traurige, kraftvolle, lustige und tatkräftige und alle Teile haben eine Funktion (auch die, die negativ gepolt sind). Mein Tipp: Setze dich einmal hin und schreib auf, welche Anteile dir spontan einfallen. Vielleicht magst du sie auch aufzeichnen, zum Beispiel als Kreise. Lenke die Aufmerksamkeit dabei bewusst auch auf die fröhlichen und starken Anteile.

 

Schritt 5: Um die Glaubenssätze zu wandeln, ist es hilfreich, wenn wir anfangen, freundlich mit uns zu sein.

Wenn wir anfangen, uns selbst wie eine gute Freundin oder einen guten Freund zu behandeln, können sich Glaubenssätze wandeln und alte Wunden heilen. Verurteilung und Abwertung helfen uns nicht weiter.

 

Es geht nicht ums Wegmachen, sondern um eine liebevolle Zuwendung zu unserem Inneren und unseren Anteilen. Alle Anteile in uns haben eine Berechtigung. Die harte Stimme hat immer eine Funktion, die keineswegs nur negativ ist: Sie sorgt möglicherweise dafür, dass du besonders gründlich recherchierst. Sie sorgt vielleicht sogar dafür, dass du dir Hilfe holst, denn die gibt es.

Wann immer der unfreundliche Teil in dir mit aller Wucht seine harte Stimme erhebt, wende dich ihr zu und frage sie, was sie braucht, um freundlicher zu sein, um sich zu beruhigen (meist ist sie ja ganz schön aufgeregt). Mein Rat: Frage sie das schreibend. Notiere deine Glaubenssätze, mach dir klar, dass das Anteile in dir sind und frage die Anteile, was ihnen guttun würde.

Wann immer der unfreundliche Teil in dir mit aller Wucht seine harte Stimme erhebt, überlege, ob du so mit einem guten Freund oder einer guten Freundin sprechen würdest oder mit einem Kind.

 

Wenn nein, dann darfst du zu dem Teil in dir STOP sagen und dir selbst mit freundlichen Worten begegnen. Wohlwollen ist soooo wichtig!


Freundlichkeit und Wohlwollen mit uns selbst sind so wichtig

Das könnte dann so klingen:

 

💙 Hey, ich verstehe, dass du verzweifelt bist. Die Verzweiflung darf da sein. Kein Wunder, das Ganze ist ja auch total fordernd. Was brauchst du, liebe Verzweiflung, um dich ein Stückchen zu beruhigen?

💙 Kein Wunder, dass du dir so viel Druck machst.

💙 Oh, ich verstehe, dass der Tag heute echt Mist war. Deine Gefühle sind okay. Morgen versuchst du's nochmals mit dem Kapitel, das dir so viel Kopfzerbrechen bereitet.

💙 Okay, blöder Tag. Jetzt ab in die Badewanne, ganz viel Selbstfürsorge und morgen auf ein Neues.

 

Kannst du dir vorstellen, langsam anzufangen, so mit dir zu sprechen?

 

Du wirst sehen, dass

  • du dir nach und nach selbst Druck nimmst.
  • sich das Ganze leichter anfühlt. 
  • du dich mit mehr Freude an deine Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation machst. 
  • du weniger mit dir und deiner Arbeit haderst.

 

Es zahlt sich aus, die Stimme in uns zu wandeln. Dass das Geduld braucht, ist klar. Und warum nicht die Uni-Arbeit zum Anlass nehmen, sich dieser Stimme erstmals zuzuwenden, die sich ja übrigens selten nur bei der Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation zeigt? 

 

Post Scriptum: Die Schreibgruppe

In der Schreibgruppe sind Glaubenssätze immer ein Thema, weil sie so eine Kraft haben. In jeder Schreibgruppe geht es ganz intensiv um einen freundlichen Umgang mit uns selbst und um Selbstfürsorge. Das wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben will geübt werden, aber wir alle (ich nehme mich da nicht aus) dürfen auch unsere freundliche Stimme nähren und ihr möglichst viel Raum geben. Das Leben wird damit leichter und schöner!

 

Veröffentlicht am 28.9.2022 | Zuletzt aktualisiert am 17.2.204.

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