Nur englische Literatur für die Masterarbeit lesen?

Die Sprachen der Wissenschaft

Globus ujd Buch. Bezeichnet: Wann genügt es, englische Literatur zu lesen, und wann nicht und wann nicht?

 

Carla hat mir über die Aktion Frag Huberta! eine wirklich spannende Nachricht geschickt. Es geht um die Frage, Literatur in welcher Sprache man lesen muss, wenn man eine Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation schreibt. Hier Carlas Beobachtung:

 

Ich habe den Eindruck, dass die Inhalte im englischsprachigen Raum und im deutschsprachigen Raum teilweise stark voneinander abweichen oder zumindest einen anderen Fokus haben. Muss ich dies in meiner Arbeit ausführen oder kann ich mich auf die Literatur aus dem englischen Sprachraum beziehen? Es könnte ja sein, dass es in anderen sprachlichen oder kulturellen Kontexten ganz andere Meinungen gibt, die ich gar nicht lesen kann und in dem Fall ja dann nicht mal wüsste, wie es ist.

 

Liebe Carla, nun weiß ich nicht, welches Fach du studierst. Deine Beobachtung ist aber wichtig und wertvoll und, das sei hier auch gleich angesprochen, sie trifft sicher nicht auf alle Fachgebiete bzw. Themen zu.

 

Folgende Gedanken habe ich zu deiner Frage (und ich führe sie bewusst ein wenig weiter aus, damit sie für möglichst viele Studierende einen Mehrwert haben):

 

1 Thematisiere deine Beobachtung

Vertiefe deine Literaturrecherche, und wenn du dir dann sicher bist, dass es zwischen dem englischsprachigen und dem deutschsprachigen Raum im Hinblick auf die Inhalte und den Fokus bei dem Thema, das du bearbeitest, Unterschiede gibt, thematisiere das.

 

Überlege, wo in deiner wissenschaftlichen Arbeit du das am besten ansprichst. Ich würde meinen, dass die Einleitung, in der du im besten Fall ja auch den Forschungsstand skizzierst, ein guter Platz ist.


Präzisiere bitte auch, was du mit „englischsprachigem Raum“ und „deutschsprachigem Raum“ meinst: Geht es um die regionale Herkunft der Autorinnen und Autoren? Da Englisch die Sprache der Wissenschaft ist und Wissenschaftler/-innen aus allen Ländern der Welt auf Englisch publizieren, scheint mir hier eine Präzisierung wichtig. Und was genau ist der „englischsprachige Raum“: die USA, Großbritannien und/oder weitere Länder?

 

2 Die Sprache(n) der Wissenschaft

Englisch als Wissenschaftssprache

Forscherinnen und Forscher publizieren häufig auf Englisch, damit ihre Publikationen von Menschen auf der ganzen Welt gelesen und verstanden werden können, und zwar unabhängig davon, welche Muttersprache sie haben. In manchen Fachgebieten (zum Beispiel in den Naturwissenschaften) wird genau deshalb nahezu ausschließlich auf Englisch publiziert.

 

Andere Sprachen der Wissenschaft

Globus und Buch

In anderen Fachgebieten (beispielsweise den Geisteswissenschaften) spielt Englisch eine weniger große Rolle. Hier publizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach wie vor auch in ihrer Landes- bzw. Muttersprache.

 

Das bedeutet, dass es beispielsweise zu Schloss Versailles sehr viel französische Literatur und zum Escorial viel spanische Literatur gibt. 

 

Wer zu einem der beiden Bauten forschen möchte, muss die jeweilige Sprache sprechen bzw. hinreichend Lesekenntnisse haben. Denn wenn man nur oder überwiegend englische Literatur zu einem der beiden Bauten liest, wird man jede Menge wichtige Forschungsergebnisse nicht zur Kenntnis nehmen – und das geht auf keinen Fall. In meinem Video "Dos and Don'ts für Studierende, die sich mehr Klarheit wünschen" gehe ich darauf näher ein.

 

Kulturelle Unterschiede in der Sichtweise

Du hast kulturelle Unterschiede angesprochen. Tatsächlich sind die sehr wichtig! Wenn jemand etwa eine Masterarbeit über ein Thema mit einem Russland-Schwerpunkt schreiben möchte, würde der Blickwinkel zu stark verengt, wenn er nur die englischsprachige Literatur und damit vermutlich nur oder überwiegend die westliche Sicht zur Kenntnis nimmt.

 

Fazit: Es kommt auf das Thema an.

Also, liebe Carla, welche Literatur du liest oder welche Sprache(n) du beherrschen musst, um deine wissenschaftliche Arbeit (Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation) schreiben zu können, hängt vom Thema und der Literaturlage ab.

 

Und falls du nicht promovierst, was ich vermute, dann möchte ich dir zu dieser wichtigen Beobachtung gratulieren, die dich veranlasst hat, mir deine Frage zu schicken! Denn dieses Bewusstsein, diese Einsicht ist nicht selbstverständlich.

 

Ich kenne Studierende, die sich tatsächlich an eine Masterarbeit über Versailles gewagt haben, ohne ein Wort Französisch zu sprechen, und andere, die über ein kulturspezifisches Thema mit einem China-Schwerpunkt gearbeitet haben, ohne Chinesischkenntnisse.

 

Zum Schluss ein Wort zu KI.

 

Übersetzungstools wie Deepl als Rettung?

Frau mit Laptop auf Stuhl fragend schauend. Bezeichnet: English.

 

Inzwischen gibt es ja jede Menge Übersetzungstools. Ich persönlich schätze zum Beispiel Deepl.

 

Wenn wesentliche Teile der Literatur aber erst mal übersetzt werden müssen, damit Studierende sie verstehen, würde ich dazu raten, das Thema zu wechseln. Zum einen ist es mühsam, alles übersetzen zu müssen, und zum anderen liegen nicht alle Publikationen in digitaler Form vor. Und schließlich geht es in der Wissenschaft immer auch um sprachliche Nuancen. Die gilt es wahrzunehmen, um die Ergebnisse der Forschung tatsächlich präzise auswerten zu können.

 

Das könnte dich auch noch interessieren

Trag dich hier in den Newsletter ein und hole dir mein E-Book mit konkreten Tipps für dein Abstract, das Vorwort, die Einleitung sowie das Schlusskapitel deiner Uni-Arbeit! 


Verfasst am 17.2.2024. 

 

Abbildungsnachweis: Buch mit Globus: Shutterstock.com, Bildnr. 1142468387, Billion Photos | Frau mit Laptop, bezeichnet „English“: Shutterstock.com, Bildnr. 1191968761, TierneyMJ