Ein wohlwollender Rückblick und ein realistischer Blick nach vorne
Das Jahr geht zu Ende und vielleicht denkst du dir in diesen Tagen: Eigentlich sollte ich mit meinem Schreibprojekt schon viel weiter sein. Viele Studierende und Promovierende starten nicht mit einem guten Gefühl, sondern mit einem schlechten Gewissen ins neue Jahr – mit dem Gefühl, dass sie „hinterherhinken“. Oft kommt eine Portion Euphorie dazu: Im nächsten Jahr wird es anders. Da läuft es viel besser. In diesem Beitrag geht es um eine Rückschau, die von Wohlwollen getragen ist, und um den Blick nach vorne, ins neue Jahr!
Das wissenschaftliche Schreiben ist Teil deines Lebens, und da ist vermutlich viel los!
Dein Leben ist vermutlich ziemlich voll. Da ist nicht nur deine Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Doktorarbeit, sondern viel mehr. Vielleicht hast du einen Job? Vielleicht hast du Kinder?
Möglicherweise bist du mit einem „Päckchen“ (ADHS, Ängste, Depression etc.) unterwegs. Vielleicht hast du gerade Beziehungsprobleme oder kümmerst dich um deine pflegebedürftigen
Eltern.
All das kostet Zeit und Kraft.
Und trotzdem schauen viele Studierende und Promovierende am Jahresende fast ausschließlich auf eine Sache: auf ihr Schreibprojekt. Es wird isoliert betrachtet, losgelöst vom Rest des Lebens.
Und dann fällt das Urteil schnell hart aus: Ich habe zu wenig gemacht.
Aber so eine Rechnung kann nicht aufgehen, weil sie einen großen Teil deiner Realität ausblendet. Sie tut so, als hätte dein Schreibprojekt in einem leeren Kalender stattgefunden – und nicht mitten in einem prall gefüllten Leben.
Eine Übung für einen anderen Blick
Ich lade dich ein zu einer Übung, die ich gern auch mit den Teilnehmer*innen meiner Schreibgruppe mache.
Stell dir eine Skala von eins bis zehn vor.
1 = Ich bin ganz unzufrieden mit mir und meinem Schreibprojekt.
10 = Ich bin sehr zufrieden mit mir und meinem Schreibprojekt.
Wo würdest du dich ganz spontan einordnen, wenn du an das letzte Jahr denkst?
Und jetzt lass uns einen Perspektivwechsel machen!
Stell dir vor, eine wirklich gute Freundin oder ein guter Freund würde auf dich, deine wissenschaftliche Arbeit und dein Jahr schauen.
Sie oder er weiß, was bei dir alles los war: beruflich, privat, gesundheitlich. Wie zufrieden wäre diese Freundin oder dieser Freund mit dir und deinem Vorankommen? Welche Ziffer würde sie oder er ankreuzen?
In Workshops erlebe ich es fast immer, dass diese zweite Einschätzung deutlich höher ausfällt. Und das ist kein Zufall. Es liegt daran, dass wir oft sehr streng mit uns selbst sind – und den Kontext ausblenden, in dem unser Schreiben stattfindet.
An dieser Stelle lade ich dich ein, ein Stückchen weiter zu gehen und mit Stift und Papier die folgenden Fragen zu beantworten. Du findest die Fragen weiter unten alle auch in einem PDF, das du downloaden kannst.
1 Rückblick
Was war in diesem Jahr alles los in deinem Leben – abseits deiner Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Doktorarbeit?
Denke dabei zum Beispiel an:
- deinen Job
- deine Familie und Kinder
- deine Gesundheit
- deine Wohnsituation
- emotionale Belastungen
- Freundschaften
- finanzielle Themen
- Ressourcen wie Hobbys, Erholungszeiten oder unterstützende Menschen
Erstelle eine Mindmap. In die Mitte schreibst du: „Mein Leben“.
Und bitte vergiss dabei nicht: Deine wissenschaftliche Arbeit gehört dazu – aber sie ist nicht alles.
Was hast du schon alles für deine Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Doktorarbeit erledigt?
Mache eine möglichst ausführliche Liste. Nicht nur „große“ Meilensteine zählen.
Auch dazu gehören zum Beispiel:
- Gespräche mit der Betreuung,
- E-Mails,
- Bibliotheksbesuche,
- Literaturrecherche,
- Einarbeiten in die Zitierregeln.
All das ist Arbeit. Auch wenn es sich nicht immer so anfühlt.
2 Standortbestimmung
Wo genau stehst du gerade mit deinem Schreibprojekt?
Beschreibe in ein paar Sätzen möglichst konkret:
- Was hast du zuletzt getan?
- Woran arbeitest du gerade?
- Wie geht es dir damit?
Stell dir vor, du gibst einer guten Freundin oder einem guten Freund ein präzises Update deines aktuellen Arbeitsstandes. 📍
3 Ausblick: Auf ins neue Jahr!
Was ist der nächste konkrete Schritt, der dich jetzt wirklich weiterbringt?
Definiere einen Schritt – maximal zwei. Nicht mehr.
Vielleicht ist es:
- eine E-Mail an deine Betreuung
- das Ordnen deiner PDFs
- das Überarbeiten eines Abschnitts
- ein realistischer Wochenplan
Schau dabei ruhig auch auf Dinge, die du zuletzt aufgeschoben hast.
Nicht mit Vorwurf, sondern mit Wohlwollen.
Wie viel Raum soll deine Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation im neuen Jahr bekommen?
Benenne die Stunden pro Woche oder pro Monat.
Und dann vergleiche das einmal mit dem, was deine Hochschule eigentlich vorsieht: Ein Blick auf die ECTS genügt.
- Wie viele Arbeitsstunden sind offiziell eingeplant?
- Was bedeutet das ganz konkret für deinen Alltag?
- Wo brauchst du vielleicht Entlastung, Anpassung oder Unterstützung?
Zum Schluss
Dein Schreibprojekt findet nicht im luftleeren Raum statt. Es ist eingebettet in dein Leben – mit allem, was dazugehört. Ein wohlwollender Rückblick heißt, anzuerkennen, was da war – und zu würdigen, was unter diesen Bedingungen möglich war.
Ein guter Ausblick bedeutet, realistisch zu planen – und dein Leben miteinzubeziehen. Vielleicht ist genau das der wichtigste Schritt für dein Schreibjahr 2026.
PDF mit allen Fragen zum Ausdrucken
Abbildungsnachweis: Bild oben und unten: Canva. Skala: ChatGPT

