Warum wir oft unfreundlich mit uns sind und warum Selbstmitgefühl ein guter Weg ist, damit du besser durch diese anstrengende Zeit kommst, in der du deine wissenschaftliche Arbeit schreibst

Warum tun wir uns so schwer damit, freundlich zu uns zu sein?
Viele Menschen – vielleicht auch du – haben Schwierigkeiten, sich selbst freundlich zu begegnen. Wie leicht uns das fällt, hat viel mit unserer Kindheit zu tun: Je besser unsere Eltern und andere nahestehende Bezugspersonen mit uns umgegangen sind, desto eher können wir heute auch wohlwollend mit uns selbst sein.
Entscheidend ist dabei vor allem, wie die Menschen um uns herum mit unseren und ihren eigenen Gefühlen umgegangen sind. Bei mir zum Beispiel war die materielle Versorgung gesichert, aber emotional hat es an vielen Ecken gemangelt.
Was hat das mit deiner Uni-Arbeit zu tun?
Die Zeit, in der du deine Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation schreibst, kann sich richtig belastend anfühlen – kein Wunder!
Die meisten Studierenden schreiben ihre wissenschaftliche Arbeit nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem ohnehin prallvollen Leben.
Da ist vielleicht ein Job, vielleicht gibt es schon Kinder, vielleicht sind gesundheitliche Probleme zu bewältigen oder seelische Päckchen wie Depression, Ängste, Panikattacken etc. – manchmal mehrere Dinge gleichzeitig.
Wenn du in dieser Situation noch auf dich selbst einhackst, macht es das nicht besser. Mit „einhacken“ meine ich nicht nur Druck, sondern vor allem diese unfreundliche innere Stimme.
Diese unfreundliche Stimme sagt dann zum Beispiel:
Du bist zu langsam.
Du schaffst das nicht.
Alle anderen kommen viel schneller voran als du.
Tu halt einfach weiter und schreib das Ding runter.
Du wirst das nie schaffen.
Wenn das so weitergeht, wirst du dein Studium nicht abschließen.
Diese Stimme macht den Schreibprozess besonders schwierig und belastend. Sie kann sogar eine Schreibblockade auslösen. Auf jeden Fall begleitet sie eine Schreibblockade. Richtig ätzend, ich weiß!
Die innere Stimme lässt sich nicht einfach abschalten
Diese Stimme, auch wenn wir uns das noch so sehr wünschen, können wir nicht einfach wegmachen. Sie hat ihre Ursache in neuronalen Netzwerken in unserem Gehirn, „Autobahnen“, die sich über viele Jahre ausgefahren haben.
Und wenn das in unserer Kindheit war, sind sie besonders stark. Sie haben dann sozusagen Spurrillen, aus denen es schwer ist, herauszukommen.
Schwer, aber es ist möglich!
Die harte Stimme wandeln durch Mitgefühl

Seit ein paar Jahren übe ich mich intensiv in der Kunst der Freundlichkeit mir selbst gegenüber. Mitgefühl und Selbstfürsorge sind dabei ganz wesentlich.
Ich kann dir sagen, dass das in Anbetracht meiner Kindheit alles andere als leicht ist. Gleichzeitig bemerke ich Veränderungen, die mein ganzes Leben betreffen. Das ist auch meine Motivation für diesen Blogartikel.
Meine Einladung:
Jedes Mal, wenn du bemerkst, dass du hart mit dir sprichst, versuche innezuhalten und diese strenge Stimme zu wandeln, und zwar indem du Mitgefühl mit dir selbst hast.
Mitgefühl mit der Person, die
- ihre Uni-Arbeit schreibt, ohne dazu vorher allzu viel Erfahrung gesammelt zu haben (vielleicht sogar überhaupt keine Erfahrung hat!).
- Bibliotheksbesuche abends nach der Arbeit erledigen muss, weil sonst keine Zeit dafür ist.
- sich am Wochenende, das ja eigentlich zur Erholung da ist, an den Schreibtisch setzt, um mit ihrem Schreibprojekt voranzukommen.
- einfach oft total müde ist, sich vielleicht sogar richtig ausgelaugt fühlt.
- sich überfordert fühlt und sich fragt, wie sie aus diesem Zustand nur herauskommen soll.
- keinen guten Draht zur Betreuerin oder zum Betreuer hat, weil sie oder er nicht gut zuhört, kaum Zeit hat, unfreundlich etc. ist.
- starke Selbstzweifel plagen.
- ADHS hat und sich nur sehr schwer konzentrieren kann.
- mit Traumafolgen lebt.
- zeitlich unter starkem Druck steht, weil die Deadline naht.
- gerade in einer Beziehungskrise steckt, aber in ein paar Monaten die Uni-Arbeit abgeben muss.
- von den Eltern noch finanziell abhängig ist und deren Druck spürt, doch nun bitte endlich das Studium abzuschließen.
- ihre Abschlussarbeit schreibt und parallel dazu ein Familienmitglied pflegt.
- sich einsam fühlt und extrem viel Zeit auf Instagram & Co. verbringt, die dann für die Uni-Arbeit fehlt ... und, und, und ...
Ich lade dich ein, deine Situation anzuerkennen und Selbstmitgefühl zu entwickeln. Ich schreibe bewusst nicht „Mitgefühl zu haben“, denn das geht nicht auf Knopfdruck, sondern ist ein Prozess; es bedarf der Übung.
Versuche, deine innere Stimme zu verändern: Wenn du dich selbst kritisierst oder der Ton hart wird, halte kurz inne und versuche, dir stattdessen Mut zu machen, dich zu stärken, statt dich zu schwächen.
Höre hin, wie du mit dir selbst sprichst
Der erste Schritt im Wandlungsprozess ist, dass dir überhaupt auffällt, wie du mit dir in Gedanken sprichst. Würdest du laut so mit dir sprechen, wäre das ganz anders. Du würdest sofort merken, dass die Worte und vermutlich auch der Ton nicht stimmig sind.
Die kritische Stimme wird bei der Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation oft besonders laut. Kein Wunder!
Immer dann, wenn es stressig oder belastend wird, begegnen wir uns intensiv selbst. Genau in diesen Situationen wird die unfreundliche Stimme besonders laut. Und es ist daher kein Wunder, wenn sich in der Situation, in der du deine Uni- oder FH-Arbeit schreiben möchtest, diese Stimme kritisch meldet.
Diese innere Stimme kann so entmutigend sein, dass sie dich regelrecht lähmt – oder dich dazu bringt, alles Mögliche zu tun, nur nicht an deiner Arbeit zu schreiben.
Wenn es dir möglich ist, halte inne und schau, genauer gesagt spüre mal hin, was diese Stimme mit deiner Kindheit (mit deinen Eltern und anderen Bezugspersonen, auch in Kindergarten und Schule) zu tun hat. Was du gerade erlebst, ist der Auslöser dafür, dass sich diese Stimme meldet. Deine Uni-Arbeit kann der erste Schritt sein, diese Stimme zu wandeln und Mitgefühl mit dir zu entwickeln.
Hilfreich können dabei die Worte „Kein Wunder“ sein. Mitgefühl mit dir zu haben, kann bedeuten, dass du dir Sätze wie diese sagst:
Das ist jetzt wirklich eine herausfordernde Zeit. Der Job fordert dich und parallel dazu eine Uni-Arbeit zu schreiben, ist wirklich eine große Aufgabe.
Kein Wunder, dass es dir so geht, wie es dir gerade geht.
Du trägst wirklich allerhand Päckchen. Du hast ADHS / Traumafolgen / Migräne etc. Kein Wunder, dass du nicht so flott vorankommst wie deine Studienkolleginnen und -kollegen. Schritt für Schritt und ganz viel Selbstfürsorge.
Ah, du denkst, dass du das nie schaffen wirst. Das ist wirklich kein Wunder, wenn du auf deine Geschichte zurückblickst. Du hattest keine Eltern, die dich gelobt / ermutigt / unterstützt haben. Das ist traurig und erklärt, warum du mit deiner Masterarbeit so struggelst. Versuche, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Welche kleine Aufgabe könntest du heute erledigen, damit du einen winzigen nächsten Schritt gehst, der dich an dein Ziel bringt? Was könntest du dir heute Gutes tun?
Mein eigenes Aha-Erlebnis
Für mich war es ein großes Aha-Erlebnis, als ich irgendwann einmal festgestellt habe, dass ich mir selbst Sätze sage, die von meinen Eltern stammen könnten. Die Stimme war hart, hat Druck gemacht und war sehr kritisch. Niemals würde ich mit einem Kind so sprechen, niemals würde ich mit einer Freundin oder einem Freund so sprechen.
Das war der erste Schritt zur Veränderung. Mir wurde klar: Die Stimme ist zwar in mir, aber sie ist nicht meine. So wollte ich nicht mit mir sprechen. Wenn ich dann auf die jeweilige Situation geschaut habe, habe ich bemerkt, dass ich eigentlich Mitgefühl brauche.
Ich brauche eine innere Stimme, die Verständnis hat und freundlich ist. Ich brauche eine Stimme, die mich zur Selbstfürsorge ermuntert.
Finde deine Sätze, deine Stimme (und habe Geduld)
Wichtig ist in meinen Augen, dass deine ganz persönlichen Sätze nicht aufgesetzt sind, sondern tief aus deinem Herzen kommen.
Wenn du magst, kannst du dir bei der Suche nach deinen Sätzen vorstellen, was denn ein wohlwollender Elternteil oder eine gute Freundin oder ein guter Freund sagen würde. Bei welchem Satz bzw. bei welchen Sätzen fängst du an, dich zu entspannen? Wo merkst du eine körperliche Reaktion?
Möglicherweise musst du deine Sätze auch erst einmal suchen.

Nicht immer sind die Sätze, um die es geht, sofort da (immerhin dröhnt ja auch die kritische Stimme noch weiter vor sich hin). Die freundliche Stimme ist oft erst mal ganz leise.
Sie darf schrittweise immer mehr Raum bekommen (siehe dazu auch den Blogartikel So stärkst du deine freundliche Stimme).
Habe Geduld, und wenn du denkst, dass du bei der Suche und dem Nähren der kritischen Stimme Unterstützung brauchst, möchte ich dich einladen, dir diese zu suchen, zum Beispiel mit einer zugewandten Psychotherapeutin oder einem zugewandten Psychotherapeuten.
Fazit: Mitgefühl als Strategie im Schreibprozess und im Leben

Mitgefühl ist eine echte Strategie, um mit schwierigen Situationen besser umzugehen. Indem du dir selbst wohlwollend begegnest, unterstützt du dein Nervensystem.
Jedes Mal, wenn du dir mit Mitgefühl und Wohlwollen begegnest, schaffst du die Basis, dass sich dein Gehirn verändert, neue neuronale Netzwerke spinnt und du die alte Autobahn verlassen kannst. Deine wissenschaftliche Arbeit kann auf diese Weise ein wunderbares Übungsfeld sein, um neue Wege zu gehen.
Veröffentlicht am 14.2.2025.