Promovieren: Wie und wovon wirst du leben?

Eine Promotion, sei es auf einer wissenschaftlichen Stelle oder mit einem Stipendium, ist kein Honiglecken. Hier ein paar Hard facts zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Promovierenden.

Ein Gastartikel von Karoline Döring, wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der LMU München 

Ist für das Projekt "Doktorarbeit", für das ich über einen sehr langen Zeitraum hinweg sehr viel Zeit in meinem Leben aufwenden muss, jetzt der richtige Zeitpunkt? Diese Frage ist überlebenswichtig! Gestatte mir bitte diese Dramatisierung, denn bei dieser Entscheidung, solltest du dir neben den Punkten, die Huberta in ihrem Blogartikel "Was es bedeutet, eine Doktorarbeit zu schreiben" nennt, auch klar darüber werden, ob und wie du deinen Lebensunterhalt während der Promotion bestreitest.

 

Deswegen möchte ich dir in diesem Artikel ein paar Informationen und Zahlen zu den Arbeitsbedingungen von Promovierenden in Deutschland geben. Die Schlussfolgerungen sind auf Österreich und andere Länder übertragbar.

 

Prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb

Wer den Twitterhashtag #IchBinHanna, den Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon im Sommer 2021 ins Leben gerufen haben, verfolgt, bekommt ein gutes Bild davon, unter welchen Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftsbetrieb geforscht und gelehrt wird. Diese Bedingungen sind prekär. 

 

Über die Aktion und die mittlerweile zahlreichen Veröffentlichungen und Stellungnahmen kannst du dich hier informieren. Forschende beginnen jetzt öffentlich über ihre Situation und ihre Erfahrungen zu sprechen. 

 

Das ganze Ausmaß eines maroden Wissenschaftssystems wird so einem breiten Kreis, auch außerhalb der Wissenschaft, bekannt. Absolvent*innen, die sich überlegen zu promovieren, sehen seitdem nicht mehr nur die begeistert lehrenden Dozent*innen, lesen die anregenden wissenschaftlichen Publikationen, hören die stimulierenden Fachdiskussionen, sondern sie bekommen auch mit, unter welchen Arbeitsbedingungen Lehre und Forschung in Deutschland betrieben werden.

 

Wissenschaft ist mit sehr viel Unsicherheit und sehr großen Belastungen verbunden.

Bessere Beschäftigungsaussichten für Promovierte?

Die guten Nachrichten zuerst

  • Promovierte haben ein durchschnittlich höheres Einkommen als Nicht-Promovierte.
  • Ihre Arbeitslosenquote im Zeitraum von zwei bis zehn Jahren nach der Promotion liegt kontinuierlich bei ungefähr 1 bis 2%.
  • Sie üben häufiger als Nicht-Promovierte Tätigkeiten aus, die ihrer Qualifikation entsprechen.
  • Sie gelangen häufiger als Nicht-Promovierte in Führungspositionen.

Kurzum: Ein Doktorat kann sich auszahlen!  

 

Es gibt aber auch andere Fakten

Die meisten Promovierten verlassen im ersten Jahr nach der Promotion den akademischen Beschäftigungssektor. Nach zehn Jahren ist nur noch ein Fünftel an einer Universität oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung beschäftigt.

Der BuWin, also der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, der regelmäßig mittels statistischer Daten und Befragungen die Situation des sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland auswertet, stellt in seiner aktuellen Ausgabe 2021 zu Karriereverläufen von Promovierten fest: „Demnach ist der Verbleib in der Wissenschaft nach der Promotion eher die Ausnahme als die Regel.“

 

Wer mit dem Ziel, in der Wissenschaft zu bleiben, promovieren möchte, sollte spätestens jetzt wirklich sehr aufmerksam alles über #IchBinHanna lesen. Für alle, die in den außeruniversitären Arbeitsmarkt wollen, bringt die Promotion in der Regel einen sehr guten Karriereeinstieg und einen ausgezeichneten Ertrag.

 

Die nächsten Nachrichten sind nicht unbedingt schlecht, aber sie bedeuten, dass ihr euch für die Entscheidung nüchtern mit einigen Zahlen und Fakten zur Promotionsdauer, zu den Finanzierungsarten und zur Arbeitszeit auseinandersetzen müsst.

 

Promoviert in drei Jahren?

Als Promotionsdauer nennen die Universitäten meist drei Jahre. Auf diese Zahl sind Promotionsordnungen, Promotionsstudiengänge, Projektförderungen und Stipendien zugeschnitten. Vertreter*innen der akademischen Leistungsgremien werden auch nicht müde zu betonen, dass man zu dieser Zahl zurückmüsse.

 

Die Realität sieht anders aus:
Promotionen dauern nicht drei Jahre. Sie dauern länger.

Und viele werden gar nicht abgeschlossen.

 

Zwei neuere Erhebungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), immerhin des größten Drittmittelgebers in Deutschland, zu Promotionsdauern und Promotionsabschlüssen in ihren eigenen Förderverbünden wie Graduiertenkollegs und Exzellenzclustern haben festgestellt, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften Promotionen im Durchschnitt 56 Monate dauern. Insgesamt 55% der Promotionen in den Geisteswissenschaften sowie 75% in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften werden abgeschlossen.


Die beiden Erhebungen sind deswegen interessant, weil schon früher gezeigt wurde, dass in solchen strukturierten Programmen die Abschlussquoten deutlich höher liegen als bei Promovierenden auf Haushalts- und Drittmittelstellen und bei Promovierenden ohne institutionelle Anbindung (siehe die ältere Studie, auf die in den verlinkten Erhebungen verwiesen wird).

Der BuWiN kommt deswegen wenig verwunderlich zu einer ähnlichen durchschnittlichen Promotionsdauer: 4,7 Jahre. 

 

Man darf also aus gutem Grund sagen: Promotionen dauern fünf Jahre. In etwa über diesen Zeitraum muss eine Finanzierung des Lebensunterhalts aufgestellt werden. Auf Grund des Zuschnitts der Rahmenbedingungen auf die „magische Drei“ kann dies aber gar nicht verlässlich und kontinuierlich geplant werden.

 

Wer nicht berufsbegleitend promoviert, rechnet besser mit Vertragsverlängerungsgesprächen, Stellenwechseln, Umzügen, Bewerbungen und Anträgen – und, ja, auch mit eigenen Ersparnissen, überbrückenden Sozialleistungen und finanzieller Unterstützung durch das private Umfeld.

Finanzierung der Promotion

Dass drei Jahre für eine Promotion nicht (mehr) ausreichen, liegt an einer Vielzahl von Faktoren. Im Einzelfall mögen das Material zu viel, das Thema zu schwierig oder die Betreuung zu schlecht gewesen sein oder persönliche Umstände es verhindert haben, dass man in dieser Zeit abschließt.

 

Generell sind aber die Rahmenbedingungen die entscheidenden Faktoren. Zu diesen gehören eine angemessene und auskömmliche Bezahlung sowie eine ausreichende Laufzeit der Finanzierung.

 

Sie sind die Grundlage dafür, dass sich Promovierende auf das große Forschungs- und Schreibprojekt konzentrieren können.

 

Promovieren mit Stelle oder Stipendium?

Übliche Arten der Finanzierung, wenn nicht berufsbegleitend promoviert wird, sind Qualifikationsstellen oder Promotionsstipendien.

 

Option 1: Anstellungsverhältnis

Teilzeitstellen mit Befristung sind die Regel

Promovierende können in einem Anstellungsverhältnis des öffentlichen Dienstes stehen. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit von Promovierenden liegt bei 22 Monaten (vgl. die Evaluation 2022 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes). 98% des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unter 35 Jahren und 77% der 35- bis 45-Jährigen sind befristet beschäftigt.

 

In der Regel haben Promotionsstellen einen Umfang von 50 bis 65% der wöchentlichen Arbeitszeit und sind somit Teilzeitanstellungen. 60% der Promovierenden arbeiten in Teilzeit, 40% haben eine Vollzeitbeschäftigung (vgl. die Wissenschaftsbefragung 2016).

 

Interessant ist, dass die DFG zum Beispiel für ihre Projektstellen in einigen Fächern einen Umfang von 65 bis 75% und in anderen von bis zu 100% vorsieht. Die Unterschiede werden mit der Wettbewerbssituation in den Fächern begründet (vgl. das Programmblatt zum Basismodul). So ist schon auf dem Papier festgelegt, dass die Vergütung von Promovierenden in den Geschichtswissenschaften, Sprach- und Literaturwissenschaften, in der Biologie und den Agrarwissenschaften oder Ähnlichem bei in der Regel 65% liegt, während sie bei Informatiker*innen, Architekt*innen, Maschinenbauingenieur*innen oder Ähnlichen bis zu 100% erreichen kann.

 

Der außeruniversitäre Arbeitsmarkt erzeugt hier einen asymmetrischen Konkurrenzdruck, der durch eine bessere Vergütungsmöglichkeit des Fördermittelgebers abgemildert wird. Auf Haushaltsstellen ist es wiederum nicht unüblich, dass sich zwei Promovierende eine Vollzeitstelle teilen. Professor*innen können so mit den sehr wenigen Stellen, die ihnen zur Verfügung stehen, mehrere Promovierende fördern.

 

Einkommen: Was Promovierende verdienen

Die Tarifverträge der einzelnen deutschen Bundesländer, nach denen Promovierende auf Projekt- und Haushaltsstellen beschäftigt sind, sind im Einzelnen leicht unterschiedlich. Einen guten allgemeinen Anhaltspunkt dafür, wie hoch die Vergütung ausfallen kann, liefern die Personalmittelsätze der DFG:

 

Für das Jahr 2022 gibt die Personalkostenkategorie für Promovierende ein Monatsbrutto von 5975 Euro an. Diese Summe ist die Perspektive des Arbeitgebers. 5975 Euro sind der Betrag, der auch den „teuersten Fall“ abdeckt.

 

Jede Universität beschäftigt das Personal nach tariflichen und administrativen Anforderungen, das heißt, sie stellt es im vorgegebenen Stellenumfang ein, nimmt dessen Eingruppierung in die Entgeltstufe vor, berücksichtigt Vorlaufzeiten im öffentlichen Dienst usw. Und im Nu sind es dann nur noch 3883,75 Euro für die Archäologie-Doktorandin auf der 65%-DFG-Projektstelle.

 

Vielleicht sind es auch nur 2987,50 Euro, weil sie sich zu 50% eine Haushaltsstelle mit dem Kollegen teilt. Tatsächlich noch weniger, weil Promovierende wie Berufsanfänger*innen in die niedrigste Stufe eingruppiert werden.

 

Der Bruttobetrag reduziert sich weiter um alle gesetzlichen Abzüge wie Steuern, Sozialversicherungen etc. Je nach Stellenumfang und Entgeltgruppe liegt die untere Grenze des Nettobetrags bei ca. 1300 bis 1400 Euro.

 

Option 2: Stipendium für die Finanzierung der Promotion

Promotionsprojekte können auch auf Stipendien bearbeitet werden. Diese sind in Deutschland steuerfrei, wenn sie direkt aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Stipendien begründen kein Arbeitsverhältnis und sind daher in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig, das heißt, für Sozialleistungen wie Krankenversicherung müssen Stipendiat*innen selbst aufkommen.

Die Beiträge dafür bewegen sich um ca. 300 Euro pro Monat. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung macht seinen Begabtenförderungswerken Vorgaben für die finanzielle Förderung: Promotionsstipendium haben eine Höhe von 1350 Euro.

 

Und ja, der Betrag sieht nicht nur so aus, als sei er angelehnt an die Bezahlung nach Tarifvertrag. Stipendien und Förderprogramme haben in der Regel eine Laufzeit von 24 bis 36 Monaten, gegebenenfalls mit Verlängerungsmöglichkeit, die meist beantragt und bewilligt werden muss.

 

Manche Stipendienwerke erlauben vergütete Nebenbeschäftigungen in geringem wöchentlichen Stundenumfang. Diese Möglichkeit dient aus ihrer Sicht dazu, zusätzliche wissenschaftliche Kompetenzen und Qualifikationen aufzubauen. Mit ihr soll nicht die Stipendienhöhe „aufgestockt“ werden, sodass es entsprechende begrenzende Auflagen gibt.

 

Sowohl bei Stipendien als auch bei Stellen kann die verfügbare Summe in einem bestimmten Rahmen nach oben variieren, wenn es Familien- und Pflegezuschläge gibt, zusätzliche Kosten für Krankenversicherung, Fachbücher, Reisen (anteilig) übernommen werden oder Konferenzbesuche und Fortbildungen als Dienst- und Fortbildungstätigkeiten mit entsprechender Kostenerstattung durch den Arbeitgeber durchgeführt werden können.

 

1350 Euro plus allfällige Zuschläge und Vergütungen müssen ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Oft braucht es daher ein soziales Netz, das den Fehlbetrag auffängt.

Hoch die Hände, Wochenende!

Promovierende machen jede Menge Überstunden

Die Wissenschaftsbefragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), die du hier nachlesen kannst, hat 2016 herausgefunden, dass Doktorandinnen und Doktoranden durchschnittlich eine vertraglich festgelegte Arbeitszeit von knapp 30 Wochenarbeitsstunden haben und 13,4 Überstunden pro Woche leisten.

 

Bei Promovierenden in Teilzeitanstellungen liegt diese Zahl bei 17 Überstunden. Fast ein Viertel der Promovierenden leistet 20 Überstunden oder mehr pro Woche. Diese Zahlen liegen sehr weit über dem Durchschnitt von 3,9 Stunden in der Gesamtbevölkerung.

 

Interessant ist, dass die Zahl bei Führungskräften bei 9,4 Stunden liegt. Die Befragung kommt zu dem nachvollziehbaren Schluss: „In der Wissenschaft scheint sich der ,Nachwuchs‘ an den Professoren zu orientieren, die, obgleich sie keine vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit haben, laut unserer Befragung durchschnittlich 55 Wochenstunden arbeiten.“ (S.152 des oben verlinkten Artikels) Kurz gesagt: In der Wissenschaft wird sehr viel und auch sehr viel #unbezahlt gearbeitet.

 

Es gibt nicht wenige Promovierende, die Vollzeit oder mehr arbeiten und dabei mit einem Teilzeitgehalt vergütet werden. Die Gründe für diesen Umstand sind vielfältig und werden klar benannt, so in der Wissenschaftsbefragung oder bei #IchBinHanna.

Sie haben mit den vielen Eigentümlichkeiten des Wissenschaftssystems zu tun, von denen nur eine ist, dass Qualifizierung, die der eigentliche Grund für die Befristung von Arbeitsverträgen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist, oft in der Freizeit stattfindet.

 

Auswirkungen dieses entgrenzten Arbeitens auf Gesundheit und Sozialleben beiseitegelassen, führt es ganz banal zu einer starken Verringerung, mitunter sogar Halbierung von vorher eigentlich angemessenen Stundenlöhnen.

 

Erschwert sind in der Folge auch das Einzahlen in Sozial- und Versicherungsleistungen und die Bildung finanzieller Rücklagen. Nebenbeschäftigungen in größerem Umfang nachzugehen oder ein zweites Standbein aufzubauen ist praktisch unmöglich.

 

Für Absolvent*innen, die von vornherein einen Wechsel nach der Promotion in einen anderen Beschäftigungssektor beabsichtigen, haben diese Umstände freilich eine andere Bedeutung als für die, die in der Wissenschaft bleiben wollen. Unabhängig jedoch von der persönlichen Zukunftsperspektive und Lebensplanung bleibt es für beide eine Zeit, in der „keine großen Sprünge“ gemacht werden können und die ganz im Zeichen des begeisternden und erfüllenden wissenschaftlichen Arbeitens steht.

 

Nach der Innenschau, ob man geeignet ist, und dem Abwägen, was das Schreiben einer Doktorarbeit bedeutet, sollte deswegen unbedingt auch eine nüchterne Einnahmen-Ausgaben-Rechnung gemacht werden.

 

In diesem Sinn läuft am Ende alles auf eine einzige Frage hinaus: Unter welchen Arbeits- und damit auch Lebensbedingungen ist eine Promotion für mich möglich? 

 

Die ganz normalen Durchhänger bei größeren Schreibprojekten kommen sowieso. Alle Autor*innen kennen Motivationslöcher, Überforderung, Versagensängste, Schreibhemmungen oder sogar echte Schreibblockaden. Für all dies gibt es gute Schreibstrategien und Beratungsmöglichkeiten. Aber diese Durchhänger sollten nicht zu Existenzängsten werden. So viel Dramatik muss auch wieder nicht sein. Vielleicht passt das Projekt „Doktorarbeit“ einfach (noch) nicht ins Leben? 

Über die Autorin

Karoline Döring

Karoline Döring ist Historikerin mit Schwerpunkt Mittelalter und Frühe Neuzeit, liebt Projekte und Schreiben, ist digital enthusiast und engagiert in der Vermittlung von Geschichte. Sie arbeitet als wissenschaftliche Koordinatorin des Archivum Medii Aevi Digitale der LMU München und engagiert sich im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft für gute Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre.

 

Mehr Informationen zu Karoline Döring gibt es auf der Website der LMU. Auf Twitter ist sie unter @karolinedoering zu finden.

 

Foto von Karoline Döring
Karoline Döring

Veröffentlicht am 21.9.2022

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