Ein Gastartikel von Regina Fenzl, Leiterin des Schreibzentrums der FHWien der WKW
In meiner Arbeit mit Studierenden werde ich immer wieder gefragt: „Schreibe ich richtig?“ und unmittelbar darauf folgend: „Wie schreiben andere?“ Meine Antwort lautet immer: Es
gibt keine pauschal richtige oder falsche Strategie, um einen wissenschaftlichen Text zu produzieren. Jeder schreibt anders – es gibt verschiedene
Schreibtypen.
Entscheidend ist, was am Ende steht! Aus diesem Grund lasse ich die Schreibenden gerne selbst ausprobieren: Wie schreibt
sich der Text, wenn man einfach drauflosschreibt? Schreibt es sich besser, wenn zuerst eine Struktur gebildet wird? Wie schreibt die Person am liebsten?
Wie schreiben Sie?
Nehmen Sie sich nun ein paar Minuten Zeit und denken Sie an den letzten (längeren) Text, den Sie geschrieben haben. Schreiben Sie auf, wie Sie dabei vorgegangen sind.
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Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen? Was war der erste Schritt?
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Wie sind Sie weiter vorgegangen?
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Welcher Textteil war zuerst fertig?
- Mit welchen Techniken haben Sie gearbeitet?
Unterschiedliche AutorInnen, unterschiedliche Schreibtypen
In der Literatur zur Schreibforschung werden unterschiedliche Schreibtypen definiert. Zur Orientierung sollen hier ein paar vorgestellt werden (in Anlehnung an: Grieshammer et al. 2013, S. 30
f.):
1. Der strukturfixierte Schreibtyp
Der strukturfixierte Typ (klassischer Strukturfolger) plant und strukturiert einen Text. Er verschafft sich einen Überblick über das Thema, legt Zielsetzung, Fragestellung und die passende
Struktur des Textes fest. Das Ausformulieren von Sätzen zögert er so lange wie möglich hinaus. Für die Gliederung nützt er z. B. visuelle Methoden (Mindmap), ergänzt durch zusätzliche Notizen zu
einzelnen Punkten (kommentierte Gliederung).
Vorteile:
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Die Struktur und das Ziel des Textes sind klar und präsent; nichts geschieht ohne reifliche Überlegung.
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Es gibt einen roten Faden; Redundanzen und Abweichungen sind eher selten.
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Das Schreiben verfolgt einen Plan; der Textverlauf wird abschnittsweise gesteuert.
Nachteile:
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Die Vorbereitungsphase braucht Zeit; es dauert lange, bis der Text produziert wird (Zeitdruck!).
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Der Fokus auf eine vorgelegte Struktur kann behindern; neue Ideen können nicht integriert werden.
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Komplexe Themen weisen komplexe Strukturen auf (was bei wissenschaftlichen Arbeiten oft der Fall ist); bei der Planung kann Überforderung
entstehen – Schreibblockaden treten auf.
2. Der intuitive („Aus-dem-Bauch-heraus“-)Schreibtyp
Der intuitive Typ (klassischer Strukturschaffer) schreibt assoziativ und spontan, meist gerne einfach darauflos. Er bevorzugt kreative Schreibtechniken, wie Brainstorming, Clustering oder
Freewriting, um seine Ideen fließen zu lassen und zu Papier zu bringen. Um Formulierungen und mögliche Unklarheiten kümmert er sich später.
Vorteile:
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Er beginnt rascher und kommt schnell ins Schreiben (keine Angst vorm leeren Blatt).
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Der Stil ist oft persönlich und gut erkennbar.
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Es gibt eine hohe Motivation, weil eigene Gedanken auf Papier gebracht werden.
- Es wird schnell viel Text produziert.
Nachteile:
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In kurzer Zeit wird viel Text produziert; die Überarbeitungszeitspanne ist daher
groß.
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Strukturen werden oft erst beim Schreiben geschaffen, dadurch kann der rote Faden verloren
gehen.
- Das Schreiben erfolgt schreiberorientiert; den Text versteht erstmals vor allem der Verfasser. Dadurch wird die LeserInnenperspektive zu wenig berücksichtigt; die Lesefreundlichkeit leidet.
3. Der reflektierte Schreibtyp
Der reflektierte Typ schreibt und überarbeitet seinen Text gleichzeitig: Gedanke für Gedanke, Absatz für Absatz, Schicht für Schicht. In der Regel verfügt dieser Typ über ein Portfolio an Überarbeitungsstrategien.
Vorteile:
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Der Anfang ist schnell getan, er kommt rasch ins Schreiben.
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Es ist ein „schreibendes Sich-ausprobieren“: Sätze werden formuliert und umformuliert; es entsteht
eine intensive Auseinandersetzung mit Sprache und Textmelodie.
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Durch die vielen Überarbeitungsschleifen steigt die Textqualität, auch die Lesefreundlichkeit wird
positiv beeinflusst.
Nachteile:
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Das Gefühl für den Text kann trügen: Wann ist ein Text gut formuliert? Wann ist ein Text fertig?
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Ein ständiges Aus- und Umbessern muss einen Text nicht unbedingt verbessern
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Der hohe Anspruch und der Wunsch, einen perfekten Text zu produzieren, kann zu Blockaden führen.
4. Der impulsive Schreibtyp
Der impulsive Typ schreibt dort, wo es ihm gerade einfällt. Der Text entsteht aus vielen verschiedenen Teilen, die am Ende aneinandergereiht und zusammengesetzt werden.
Vorteile:
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Durch das lustvolle Vorgehen gibt es eine hohe Eigenmotivation, Schreibhemmungen treten selten auf.
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Dieser Typ kommt schnell ins Schreiben.
Nachteile:
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Der Gesamtüberblick kann verloren gehen; die Struktur (roter Faden) fehlt oder braucht viel Feinschliff.
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Die sprachliche Tiefe leidet, Argumente bleiben an der Oberfläche.
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Eine seriöse Zeit- und Arbeitsplanung ist meist nicht umsetzbar.
Fazit: 101 AutorInnen, 101 Strategien, um zu einem wissenschaftlichen Text zu gelangen!
Es gibt sicher noch weitere Typen; viele Menschen entsprechen auch mehreren Schreibtypen. Wesentlich ist: Wenn der Schreibprozess ins Stocken gerät, hilft es, den eigenen Schreib- und Arbeitsstil zu hinterfragen und gegebenenfalls einen neuen auszuprobieren. Denn: Jeder schreibt anders! Und jeder Text will neu geschrieben werden.
Literaturnachweis
Grieshammer, Ella/Liebetanz, Franziska/Peters, Nora/Zegenhagen, Jana: Zukunftsmodell Schreibberatung. Eine Anleitung zur Begleitung von Schreibenden im Studium. Schneider Verlag Hohengehren,
2013.
Über die Autorin
Regina Fenzl ist Klinische- und Gesundheitspsychologin, Schreibtrainerin und Autorin mit Begeisterung. Seit 2012 ist sie als Leiterin des Schreibzentrums der FHWien der WKW tätig und bietet Beratungen, Workshops und Veranstaltungen zum wissenschaftlichen und kreativen Schreiben an.
Website:
Schreibzentrum der FHWien der WKW
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