Als es bei mir im Studium klick gemacht hat

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Zu forschen bedeutet, Fragen zu stellen

Das wissenschaftliche Arbeiten wurde in meinen Studienzeiten nicht gelehrt. Nicht einmal die Zitierregeln wurden uns beigebracht. Man musste sich das notwendige Wissen selbst aneignen. So hat es dann auch eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, wie das wissenschaftliche Arbeiten funktioniert. So richtig klick hat es bei mir erst am Ende des ersten Studienabschnitts gemacht (heute wäre das in etwa das Ende des Bachelorstudiums).

Nachdem ich bis dahin eher wahllos Literatur gesucht und das, was dort stand, zusammengefasst hatte, wurde mir plötzlich klar, wie wichtig Neugier und die Bereitschaft, Fragen zu stellen, sind, wenn man zu neuen Erkenntnissen kommen möchte. Plötzlich habe ich auch gesehen, dass das, was ich in der Literatur gelesen hatte, keineswegs immer richtig war – ein großes Aha-Erlebnis!

So hat alles begonnen ...

Wer in den 1990-er Jahren am Institut für Kunstgeschichte studierte, musste am Ende des ersten Studienabschnittes, also nach vier Semestern, eine sog. Aufnahmearbeit schreiben. Der Begriff stammte aus der Zeit, als man mit dieser Arbeit tatsächlich in das Institut aufgenommen wurde, was die Erlaubnis zur Benutzung der Institutsbibliothek nach sich zog.


Jedenfalls hatte ich zunächst keine Ahnung, worüber ich meine Aufnahmearbeit schreiben sollte. Mir war nur klar, dass es ein Thema aus dem Bereich der Barockarchitektur sein sollte, und ich wusste genau, bei wem ich meine Aufnahmearbeit schreiben wollte: Hans Aurenhammer (mittlerweile Professor in Frankfurt), den ich in zwei Lehrveranstaltungen kennen und schätzen gelernt hatte.

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Die Salesianerinnenkirche im Wiener 3. Bezirk

Ein wenig aufgeregt ging ich zu Hans Aurenhammer in die Sprechstunde, der mir die Mariahilfer Kirche in Wien als Thema vorschlug.

 

Als ich dann aber das erste Mal die Kirche betrat, war diese zu meiner Enttäuschung innen komplett eingerüstet. Da ich das, worüber ich schreiben würde, gerne auch im Original sehen wollte, war mir sofort klar, dass ich ein neues Thema brauchte.

 

Spontan und – ich gestehe – ohne detaillierte Literaturrecherche habe ich mich dann für die Salesianerinnenkirche im 3. Bezirk entschieden und bin mit dieser Idee zu meinem Betreuer marschiert. Der hat das Thema akzeptiert – und los ging's!

 

Erst einmal habe ich die Literatur gelesen. Und dabei hat mein Kopf plötzlich angefangen zu rauchen (bei den drei Hausarbeiten, die ich davor geschrieben hatte, hatte es das nicht gegeben): Kann das so stimmen, was da in den Büchern und den Aufsätzen steht? Kann das tatsächlich so gewesen sein? Konkret ging es vor allem um das Portal der Kirche, bei dem ich irgendwie skeptisch war, dass es tatsächlich von dem für den Bau hauptverantwortlichen Architekten Donato Felice d'Allio stammen sollte (ich verzichte hier auf weitere kunsthistorischen Details).

Auf einmal wurde das alles sehr spannend

Ich war damals aufgeregt und zugleich fassungslos. Bis dahin hatte ich nämlich geglaubt, dass das, was in der Literatur steht, richtig sei! Dass das keineswegs der Fall sein muss, hatte mir bis dahin niemand gesagt und ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass man der Literatur nicht immer trauen kann.

 

Nun gut, ich ging zu meinem Betreuer Hans Aurenhammer und berichtete ihm von meiner Fassungslosigkeit und deren Ursache. Der blieb zu meinem Erstaunen gelassen und wunderte sich im Unterschied zu mir nicht. Er hörte sich meine Überlegungen in Ruhe an und am Ende meinte er: Ja, genau, und jetzt gehen Sie nach Hause und bringen das zu Papier.

Und plötzlich machte es klick – schlagartig war ich in der Forschung drinnen!

Inzwischen weiß ich, dass ich damals nicht nur verstanden hatte, was eine wissenschaftliche Arbeit ist, sondern auch, was es bedeutet zu forschen. Bis heute sind es dieselben Fragen, die ich mir als Kunsthistorikerin jedes Mal immer wieder stelle, sobald ich ein Thema anpacke:

  • Stimmt das, was ich da lese?
  • Kann das wirklich so gewesen sein?
  • Ist der Text sorgfältig recherchiert, durchdacht und argumentiert? 

Nur allzu oft lautet die Antwort auf eine der drei Fragen "nein". Und genau an diesem Punkt versuche ich dann, anzusetzen, weiterzubohren, weiterzudenken. Im Unterschied zu damals, als ich sozusagen noch ein "Frischling" war, gehe ich heute grundsätzlich davon aus, dass das, was ich lese, nicht stimmen muss, dass ich selbst darüber nachdenken und die Dinge hinterfragen muss.

Wie die Geschichte weitergegangen ist

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Meine Aufnahmearbeit

Ich bin nach der Sprechstunde mit dem neuen Thema im Gepäck nach Hause gegangen und habe zu schreiben angefangen.

Wenig später habe ich dann einen kleinen tschechischen Ausstellungskatalog entdeckt (dass man gründlich nach Literatur recherchieren musste, war mir inzwischen auch klar geworden) und damit rollte der einmal angestoßene Stein weiter. Besuche des Archivs der Salesianerinnen sowie des Stiftes Klosterneuburg und der Plansammlung der Mährischen Galerie in Brünn folgten.

Das Thema hat mich total in seinen Bann gezogen und mich bald rund um die Uhr beschäftigt. Ich habe gemerkt: Eine Uni-Arbeit zu schreiben, kann richtig Spaß machen.

 

Tja, und am Ende habe ich dann eine Arbeit abgegeben, in der tatsächlich ein bisschen etwas Neues stand und die mit einem Sehr Gut benotet wurde. Ich war stolz! 

Der heutige Blick auf mein Erstlingswerk

Wenn ich heute mein Erstlingswerk anschaue, dann muss ich sagen, dass das, was da drinnen steht, inhaltlich tatsächlich vernünftig ist. Allerdings ist die Arbeit mit knapp 80 Seiten dann doch ausgeufert. Die Inhalte hätte man eindampfen können. Heute wüsste ich auch, wie. Alles aber eben zu seiner Zeit!

Was ich Ihnen, liebe Studierende, gerne auf den Weg mitgeben möchte

Lernen Sie, wie man wissenschaftliche Literatur recherchiert

zettelkatalog
Der gute alte Zettelkatalog ...

Schauen Sie, dass Sie in der Literaturrecherche fit werden (Tipps dazu finden Sie hier).


In meinen Studienzeiten musste ich die Literatur rein analog, also über Zettelkataloge suchen. Das war ein arbeitsaufwendiger und langwieriger Prozess. Außerdem war es nicht ganz einfach, die Literatur zu einem Thema wirklich lückenlos zusammenzutragen.

Heute stehen uns allen ausgezeichnete Rechercheinstrumente zur Verfügung, die man aber kennen und mit denen man umzugehen wissen muss. Google und Amazon sind jedenfalls nicht die Mittel der Wahl, wenn man für eine Uni-Arbeit Literatur sucht.

Fassen Sie das Thema möglichst eng

Die meisten Studierenden meinen, dass es gut ist, wenn sie ein Thema breit anlegen. Das Gegenteil ist der Fall: Je umfangreicher Ihr Thema ist, desto mehr Literatur müssen Sie recherchieren und desto schwieriger ist es, offene Fragen herauszufiltern. Daher mein Tipp: Fassen Sie Ihr Thema möglichst eng.

Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Betreuer

Arbeiten Sie, recherchieren Sie und wenn Ihnen dann noch etwas unklar ist, gehen Sie in die Sprechstunde Ihres Betreuers und bitten Sie ihn um Unterstützung.

Und zum Schluss: Seien Sie neugierig!

eule, neugier
Neugier macht das wissenschaftliche Arbeiten spannend

Entwickeln Sie eine Neugier. Schauen Sie sich Ihr Thema unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten an, stellen Sie Fragen. Mit Fragen fängt Forschung an.

 

Bei einer Bachelorarbeit verlangt niemand von Ihnen, dass Sie wirklich Neues herausfinden, aber vielleicht fallen Ihnen Unstimmigkeiten in der Literatur auf? Sehen Sie Punkte, die offen sind? Wenn ja, dann sprechen Sie die an. Sie müssen nicht alles klären. Wer offene Fragen erkennt und auf diese hinweist, ist bereits auf dem richtigen Weg. 

 

Und natürlich: Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen. Längst nicht alle Arbeiten sind sorgfältig recherchiert und durchdacht. So gut wie jedes Thema lässt noch Spielraum für eigene Gedanken und Überlegungen. Nur Mut!

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Buch: Shutterstock.com: Bildnummer: 123908863, Urheberrecht: Ermolaev Alexander

Salesianerinnenkirche: Huberta Weigl (Salesianerinnenkirche)

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