Petra Tempfer: Von der Wissenschafterin zur Redakteurin

petra tempfer, wiener zeitung, redaktion
Petra Tempfer, Redakteurin bei der Wiener Zeitung | © Wiener Zeitung

Manchmal hat man Glück im Unglück ...

Im Frühjahr musste ich an einem Feiertag dringend in mein Büro im Media Quarter Marx, um einen Vortrag fertig zu schreiben. Aber just an diesem Tag funktionierte das Lesegerät des Bauteils 3.4 nicht, an das alle Mieter ihre Chipkarte halten müssen, wenn sie in das Bürogebäude hineinwollen. Da ich unbedingt (!) an den PC und mein Vortragsmanuskript musste, habe ich beschlossen, zu warten. Vielleicht würde ja an dem Feiertag noch ein Arbeitswilliger kommen und mich über den benachbarten Bauteil 3.3 ins Gebäude lassen!? Die Rettung kam tatsächlich, und zwar nach eineinhalb Stunden Wartezeit  – Petra Tempfer, Redakteurin bei der Wiener Zeitung.

 

Mein Tag war gerettet, ich konnte ins Büro! Ja, und außerdem habe ich Petra Tempfer kennengelernt, mit der mich nicht nur das Thema "Schreiben", sondern auch der Wechsel aus der Wissenschaft in ein ganz anderes Berufsfeld verbindet. Was lag da näher, als sie einmal nach ihrem Werdegang, ihrer Tätigkeit als Redakteurin und ihrem Zugang zum Schreiben zu fragen. Wir haben also den Spieß umgedreht, denn sonst stellt ja Petra Tempfer die Fragen.  :)

Petra, du arbeitest als Redakteurin für die Bereiche Innenpolitik, Wirtschaft und Chronik bei der Wiener Zeitung, also einer großen Tageszeitung. Für viele Menschen, vor allem aber für Publizistik-Studenten, ist das ein Traumjob. Wie bist du Redakteurin geworden?

 

Eigentlich durch Zufall. Studiert habe ich Biologie, Studienzweig Paläontologie. Ich habe mich immer als Wissenschafterin und Forscherin gesehen, die Fossilien ausgräbt, analysiert und wissenschaftliche Abhandlungen darüber verfasst. Ein bisschen wie eine verrückte Professorin, die endlos lang über ein einziges Knochenfragment philosophieren kann. Diese Jobs sind in Österreich allerdings rar gesät. Ich war immer nur kurzfristig im Rahmen von Projekten am Naturhistorischen Museum und an der Uni Wien beschäftigt. Und so kam es, dass ich mich nach zwei Jahren ohne fixe Anstellung bei der Lehrredaktion der Wiener Zeitung beworben habe.

Du hast eben die „Lehrredaktion“ bei der Wiener Zeitung angesprochen. Was genau lernt eine angehende Redakteurin im Rahmen dieses Praktikums? Bietet die Wiener Zeitung diese Möglichkeit zu einem Praktikum nach wie vor an?

Voraussetzung für die Aufnahme in die Lehrredaktion waren zwei Texte, die man an die Wiener Zeitung schicken musste. Danach wurde man zu einem sogenannten Auswahltag eingeladen, im Zuge dessen man einen Text verfassen und einen Wissenstest absolvieren musste. Anschließend gab es ein Gespräch mit dem Chefredakteur.

Acht Personen wurden genommen, ganz egal welchen Ausbildungs-Hintergrund sie hatten. Die wenigsten hatten Publizistik studiert. Im Zuge der dreimonatigen Lehrredaktion wurde man theoretisch in Form von Vorträgen durch bekannte Journalisten und praktisch geschult. Im letzten Monat arbeitete man bereits aktiv in der Redaktion mit. Andere Zeitungen bieten ebenfalls solche Lehrredaktionen an, in der Wiener Zeitung hat es seit 2008, als ich sie absolvierte, keine mehr gegeben.

Du hast deinen Weg als Wissenschafterin begonnen. Wie hat sich denn dein Schreibstil über die Jahre verändert? Ich nehme an, dass du als Wissenschafterin anders formuliert hast als jetzt.

petra tempfer, redaktion, wiener zeitung
Petra Tempfer bei der Arbeit: Interview mit dem Kinderpsychologen Ferdinand Wolf | © Andreas Pessenlehner

Oh ja, das war eine große Umstellung. Als Wissenschafterin forschte ich wochen- und monatelang, saß über meinen Fossilien und schrieb jeden einzelnen Arbeitsschritt auf. Die Publikationen waren genauso aufgebaut: Zuerst unzählige Kapitel über Fundort, Arbeit und Fundstücke. Und erst dann, ganz am Ende, das wirklich Spannende. Die Schlussfolgerung, also was diese Fundstücke in einem größeren Kontext gesehen über Klima und Ökologie aussagen. Im Journalismus ist das genau umgekehrt: Zuerst kommt das Spannende, der Höhepunkt, und dann Hintergrundinformationen. Die lesen viele aber ohnehin nicht mehr, eine schmerzliche Erkenntnis, mit der ich zu leben lernen musste. Der gesamte Artikel ist am nächsten Tag, wenn es eine neue Zeitung gibt, vergessen und zerknüllt im Mistkübel. Ganz anders als bei den wissenschaftlichen Publikationen, auf die ich ewig stolz war. Außerdem musste ich meinen Perfektionismus ablegen: Eine Geschichte, die an einem Tag geschrieben werden muss, kann niemals so ausführlich und bis ins kleinste Detail recherchiert sein wie ein wissenschaftliches Werk von einem halben Jahr. Man muss sich einfach auf das Wesentliche beschränken.

 

Wenn ich mein heutiges Leben mit jenem der Wissenschafterin vergleiche, bin ich aber froh, Journalistin zu sein. Ich glaube, als Paläontologin wäre ich in den Museumshallen mitsamt meinen Fossilien schön langsam verstaubt. Man wird doch sehr engstirnig und fachbezogen. Am Journalismus fasziniert mich, dass man jeden Tag etwas Neues lernt und stets am aktuellen Geschehen dran ist. Du gehst in die Arbeit und weißt eigentlich nicht wirklich, was dich erwartet. Das hat schon einen speziellen Reiz.

Du musst oft unter großem Zeitdruck schreiben. Wie geht es dir damit? Und wie lernt man das schnelle Schreiben?

 

Zeitdruck ist schon gut, man ist dadurch produktiver. Am Anfang war es manchmal schwer, weil ich wirklich Panik hatte, rechtzeitig fertig zu werden. Und die Zeitung muss zu einer bestimmten Zeit in Druck gehen, das ist unumgänglich. Mit der Zeit wird man aber routiniert und schnell. Die Formulierungen, Titel und Einstieg gehen einem leichter von der Hand. Für mich persönlich bin ich draufgekommen, dass ich zuerst einen Titel und Vorspanntext schreiben muss, dann fließen die Geschichten wie von selbst.

Link zur Wiener Zeitung

 

Weitere Interviews im Blog der Schreibwerkstatt:

Interview mit der Buchautorin Petra Schuseil

Interview mit der Ghostwriterin Daniela Pucher

Doris Märtin: Erfolgreich texten