Manchen Studierenden fällt es schwer, vom Lesen ins Schreiben zu kommen. Einige lesen sogar nur deshalb weitere Literatur, weil sie das Schreiben aufschieben. Ihnen ist klar, dass sie etwas bremst, aber sie wissen nicht genau, was.
Meiner Erfahrung nach, kommen Studierende bei ihrer Bachelorarbeit, ihrer Masterarbeit oder ihrer Dissertation vor allem dann nicht ins Schreiben, wenn sie kein Exposé verfasst haben. Oder die Studierenden haben zwar ein Exposé erarbeitet, aber keine vorläufige Gliederung. Auch in dieser Situation ist es nicht erstaunlich, wenn Studierende im Lesemodus hängen bleiben, sie haben ja schließlich auch keine Idee, in welches Kapitel welches Wissen gehört.
Schließlich gibt es Studierende, die ein Exposé samt Gliederung erstellt und sogar bereits mit dem Schreiben angefangen haben, die aber nur schwer den Weg zur Endfassung finden. Die Ursachen dafür vielfältig und haben meist mit den verschiedenen Schreibtypen zu tun.
Schreibtypen
Die Schreibforschung kennt eine große Zahl an Schreibtypen. Ulrike Scheuermann hat sie in ihrem Buch „Schreibdenken. Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln“* (S. 51–60) auf vier heruntergebrochen und klar benannt. Sie unterscheidet zwischen
- dem Planer,
- dem Drauflosschreiber,
- dem Versionenschreiber und
- dem Patchworkschreiber.
Die vier Schreibtypen treten selten in Reinform auf. Die meisten von uns sind Mischtypen (ich selbst bin etwa eine Mischform aus Planer und Drauflosschreiber mit einem Schuss Patchworkschreiber). Wichtig ist, dass jeder Typ anders ans Schreiben herangeht und keiner besser ist als der andere. Jeder von uns ist anders und muss daher eben auch mit einer speziellen, auf ihn zugeschnittenen Strategie arbeiten.
Der Planer
Der Planer geht strukturiert an sein Schreibprojekt heran. Natürlich erstellt er vorab eine vorläufige Gliederung für seine gesamte Arbeit und gliedert auch die einzelnen Kapitel, bevor er sich ans Schreiben macht. Ohne ein Ziel vor Augen legt er nicht los. In der Regel hat er auch seine Gedanken bereits klar im Kopf, wenn er mit dem Schreiben anfängt.
Was er dabei übersieht: Es lässt sich nicht alles planen! Ich selbst merke immer wieder, wie sehr gerade im Wissenschaftsbereich neue Ergebnisse erst während des Schreibens entstehen. Dafür sollte der Planer offen sein. Je größer das Schreibprojekt ist, desto eher wird er auch feststellen, dass sich seine Struktur verändert. Wenn Sie ein Planer sind, sollten Sie also so flexibel sein, Ihr Inhaltsverzeichnis durchaus da und dort umzukrempeln, wenn es aus inhaltlicher Sicht sinnvoll ist.
Außerdem sollten Sie nicht zu lange warten, bis Sie mit dem Schreiben loslegen. Sie werden während des Schreibens auf jeden Fall noch auf neue Ideen kommen, die entscheidend zur Qualität Ihrer Arbeit beitragen.
Der Drauflosschreiber
Der zweite Schreibtyp nach Ulrike Scheuermann hat jede Menge Ideen, die er einfach zu Papier bringt, ohne sich vorab eine Struktur zu überlegen. Das führt dazu, dass er manchmal abschweift oder zu einzelnen Abschnitten viel zu viel schreibt. In der Folge hat er dann allerhand mit dem Überarbeiten zu tun. Er muss Textteile straffen oder gar streichen. Das kostet Zeit und Energie. Wenn der Drauflosschreiber eine Gliederung hat, tendiert er dazu, sie laufend zu verändern. Auch das ist nicht arbeitsökonomisch.
Der Drauflosschreiber sollte immer wieder einmal innehalten und überlegen, ob das, was er gerade tut, sinnvoll ist. Es gibt bekanntlich viele Wege nach Rom, aber man muss ja nicht unbedingt den längsten wählen.
Mein Tipp, wenn Sie ein Drauflosschreiber sind: Notieren Sie jeden Tag vor dem Schreiben, was Sie genau zu Papier bringen wollen, und überprüfen Sie am Abend, ob Ihnen das gelungen ist. Seien Sie dabei gerade am Anfang nicht zu streng mit sich. Das strukturierte Vorgehen will auch erst einmal gelernt werden. Und wenn Sie noch gar keine Gliederung für Ihre Uni-Arbeit entwickelt haben, dann holen Sie das nach und schreiben Sie den geplanten Seitenumfang pro Kapitel dazu. Das hilft Ihnen dabei, die Arbeit nicht ausufern zu lassen.
Der Versionenschreiber
Der Name sagt es bereits: Dieser Typ schreibt seinen Text immer wieder neu oder formuliert ihn regelmäßig um. Ich selbst kenne Versionenschreiber, die sogar jeden Tag eine neue Datei für den Text anlegen und dann schließlich von einem Kapitel mehrere Fassungen am PC haben. Zum Schluss wissen sie nicht, welche Fassung sie nehmen und endgültig ausarbeiten sollen. Chaos pur!
Der Versionenschreiber hat meist keine Scheu, mit dem Schreiben anzufangen, was ein großer Vorteil ist. Ihm ist auch klar, dass er das, was er zu Papier bringt, nicht sofort abgibt, sondern dass er den Text noch überarbeiten wird. Auch das ist positiv. Allerdings wird auch er davon profitieren, wenn er sich vorab für jedes Kapitel eine Struktur erarbeitet bzw. die Kernaussagen schriftlich festhält. Schließlich ist es sinnvoll, die einzelnen Versionen kritisch anzuschauen: Ist die letzte Version tatsächlich so viel besser? Hat sich der Aufwand gelohnt? Oft kann es dabei hilfreich sein, jemand anderen den Text lesen zu lassen, um aus der Perfektionsfalle (in die der Versionenschreiber oft tappt) wieder herauszukommen.
Der Patchworkschreiber
Dieser Typ schreibt einmal da und einmal dort – je nachdem, welcher Zipfel seines Schreibprojektes ihm gerade am meisten Freude macht. Schreiben nach dem Lustprinzip (ich mache das auch immer wieder einmal) ist eine feine Sache, weil es Frust verhindert und oft die Motivation erhöht.
Eine Gefahr besteht allerdings darin, dass der Patchworkschreiber den Überblick verliert. Wenn er das dann merkt, wird aus der Lust rasch Frust. Im schlimmsten Fall gerät er sogar in eine Schreibblockade. In meinen Augen ist es ganz wichtig, dass Patchworkschreiber ihr vorläufiges Inhaltsverzeichnis mit den geschätzten Seitenzahlen pro Kapitel fest im Auge haben und immer wissen, wo sie gerade sind. Zudem sollten sie sich klarmachen, dass es bei einer Uni-Arbeit immer Kapitel oder zumindest Passagen gibt, bei denen man sich die Zähne ausbeißt.
Ich erlebe es immer wieder, dass ein Aspekt so komplex ist, dass ich stundenlang brauche, um ihn auf Papier zu bringen. Und in der Regel ist es weder möglich noch sinnvoll, ihn auszuklammern. Wer also nur nach dem Lustprinzip schreibt, könnte am Ende vor einem Berg harter Schreibnüsse stehen und frustriert sein. Wie bei allen anderen Schreibtypen gilt es auch hier immer wieder einmal innezuhalten und das eigene Tun zu reflektieren. Die Haltung eines Freundes einzunehmen, der es gut meint, ist dabei immer besser als die eines strengen (Ober-)Lehrers.
Welcher Schreibtyp sind Sie?
Nun der Ball zu Ihnen: Welcher Schreibtyp sind Sie bzw. welche Schreibtypen verbinden sich bei Ihnen? Welche neuen Strategien konnten Sie in dem Artikel für sich entdecken bzw. welche Strategien wenden Sie bereits erfolgreich an? Ich freue mich, wenn Sie im Kommentarbereich davon erzählen.
Und übrigens: Schreiben ist harte Arbeit und wissenschaftliche Texte zu Papier zu bringen, ist besonders harte Arbeit – vor allem, wenn man noch nicht allzu viel Erfahrung damit hat (was zumindest bei der Bachelor- und bei der Masterarbeit der Fall ist). Seien Sie also bitte geduldig mit sich und gehen Sie nicht davon aus, dass sich ein wissenschaftlicher Text so schnell schreibt wie ein Schulaufsatz. Als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, war ich froh, wenn ich nach einem ganzen Tag eine Seite samt Fußnoten im PC hatte. Diese Seite war dann schon fast abgabereif (schließlich bin ich ja Planer), aber ich habe auch entsprechend lang gebraucht.
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