Gendersensible Sprache gehört einfach zum guten Ton!

Ein Interview mit Michaela Summer von der Wortschneiderei

Ich habe Michaela Summer zum Interview getroffen und die Marketingexpertin, Texterin und Lektorin unter anderem gefragt, was sie ihren Kundinnen und Kunden rät, wenn es um das Gendern geht.

 

Nach wie vor gibt es Menschen, die nicht gendern möchten, weil sie meinen, dann würden Satzmonster entstehen. Und manche halten das Gendern einfach für unnötig. Was also tun? Und: Wie sollen wir denn nun am besten gendern? Wie gendert man richtig?

 

Foto Michaela Summer bezeichnet: Gendersensible Sprache gehört einfach zum guten Ton.
Ziel 1

Michaela, du bietest Lektorate an, in denen du besonders auf die geschlechtergerechte Sprache achtest, und du arbeitest mit Unternehmen in Workshops eigene Genderleitlinien aus. Sehe ich es richtig, dass du also Aufklärungsarbeit leistest?

Ich glaube, es ist nahezu unmöglich, sich als Texterin, Lektorin und Marketingexpertin nicht mit diesem Thema zu beschäftigen. Geschlechtersensible Sprache ist in unserem Alltag angekommen. Die meisten Unternehmen möchten sich hier auch keine Blöße geben und verschließen sich daher dem Gendern nicht. Viele haben jedoch das Problem, dass sie nicht wissen, wie „das mit dem Gendern“ funktioniert, werfen mit Doppelpunkten und Sternen um sich und formulieren völlig unleserliche Texte.

 

Dabei gibt es gerade in Sachen Lesbarkeit oft einfache Hebel: statt „Expertinnen- und Expertenwissen“ können wir „Fachwissen“ schreiben, statt „Wählerinnen- und Wählerverzeichnis“ „Wahlverzeichnis“ etc.

 

Ich möchte Menschen das richtige Werkzeug in die Hand geben, um ganz entspannt geschlechtergerecht kommunizieren zu können. Denn ich bin überzeugt davon, dass das Thema weitaus weniger emotional diskutiert werden würde, wenn alle wüssten, wie das Gendern leicht von der Hand gehen kann.

 


Mit dem richtigen Know-how ist das Gendern nicht schwer. 

Ziel 2

Was machst du, wenn du von einem Unternehmen beauftragt wirst, das nicht gendern möchte? Leistest du Überzeugungsarbeit?

Das passiert selten. Manchmal wird ganz wertfrei gefragt, ob eine geschlechtersensible Sprache wirklich sein muss. Und natürlich ist das keine Frage des Müssens. Ich verstehe mich auch nicht als Gendermissionarin, die eine bestimmte Ideologie an den Mann oder die Frau bringen will. Deshalb frage ich bei Unternehmen immer erst mal nach, was kommuniziert werden soll und wer die Zielgruppe ist.

 

Es macht einen Unterschied, ob eine Stellenausschreibung formuliert werden muss, ob wir ein Magazin für das Team auf die Beine stellen oder Texte für eine Website verfassen. Meistens kommen wir dann schnell zu dem Schluss, dass wir geschlechtersensibel formulieren wollen, um die Botschaft richtig zu vermitteln.

 

Überzeugungsarbeit leiste ich dahingehend, dass ich zeige, wie verständliche und klare Sprache funktioniert, die gleichzeitig – idealerweise ganz unauffällig und locker – geschlechtergerecht ist.

 


Ziel 3

Manche Menschen sind nach wie vor strikt gegen das Gendern. Sind das deiner Meinung nach eher Männer, die damit ein Problem haben? Und wie reagierst du auf diese Ablehnung?

Die Abneigung nimmt hin und wieder tatsächlich drastische Züge an. Das finde ich persönlich extrem übertrieben. Interessanterweise halten meiner Erfahrung nach fast genauso oft Frauen geschlechtergerechte Sprache für Schwachsinn und argumentieren, sie persönlich würden sich ohnehin angesprochen fühlen.

 

Das ist natürlich ein rein subjektives Argument. Auf der sachlichen Ebene hingegen gibt es eine eigene Forschungsrichtung, die ein anderes Bild zeichnet. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Mädchen sich für Berufe wie „Arzt“ oder „Ingenieur“ als ungeeignet empfinden, sich aber ermächtigt fühlen, wenn sie gefragt werden, ob sie sich vorstellen können, „Ärztin“ oder „Ingenieurin“ zu werden.

 

Ebenso wurde wissenschaftlich überprüft, woran Menschen denken, wenn sie das Wort „Schauspieler“ oder „Sänger“ hören. Erwiesenermaßen haben wir dabei vor allem Männer vor Augen.

 

Das müssen wir uns bewusst machen. Denn gerade beim Texten wollen wir ja steuern, welches Bild beim Lesen entsteht. Da können wir es nicht gebrauchen, dass unsere Aussagen zum Spielball von Spekulationen werden.

 

Und dann höre ich natürlich oft, diese Sterne und Doppelpunkte würden unsere Sprache verhunzen. Deshalb ist mir wichtig, zu klären, dass Gendern mehr ist als nur ein Stern. Es gibt viele Möglichkeiten, Aussagen mit geschlechtergerechter Sprache auf den Punkt zu bringen. 

 

Ziel 4

Könntest du einen kurzen Überblick über die Arten des Genderns geben und auch sagen, welche Vor- und Nachteile die einzelnen Formen haben? Wie gendert man richtig?

Es gibt nicht die  e i n e  Form, wenngleich es Empfehlungen vonseiten des Dudens gibt. Das Thema ist jedenfalls komplex. Gleichzeitig haben wir auch das Glück, uns aussuchen zu können, wie wir gendern wollen und was in welchem Text stimmig ist.

 

1 Gendern mit der Beidnennung bzw. Paarform

Die sogenannte Beidnennung ist die bekannteste und einfachste Form zu gendern: „Kolleginnen und Kollegen“. Das funktioniert mit fast allen Personenbezeichnungen und ist mittlerweile eigentlich State of the Art. Daran stößt sich kaum noch jemand.

 

Der Online-Duden hat 2021 rund 12 000 Personenbezeichnungen auf diese Weise geschlechtergerecht definiert. Somit gilt der „Lehrer“ nicht als geschlechtsneutral, sondern wird definiert als „männliche Person, die an einer Schule unterrichtet“ – und hat ein passendes weibliches Pendant, die „Lehrerin“.

 

Die Beidnennung hat zwei Nachteile: Wenn viele Personenbezeichnungen zusammenkommen, macht sie Texte sperrig und unnötig lang. Außerdem gibt es die Kritik, dass bei dieser Form jene ausgeschlossen werden, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen.

 

2 Kurzformen beim Gendern

Von der Beidnennung ausgehend, gibt es dann einige Kurzformen: mit Schräg- und Bindestrich wie bei „Schüler-/innen“ oder mit einer Klammer, „Mitarbeiter(in)“.

 

Diese Formen sind vom Regelwerk Duden anerkannt, aber sie bergen Gefahren:

Zum einen passiert es schnell, dass die Formen nicht zusammenpassen, wie zum Beispiel bei „jede(r) Schüler(in)“. Ohne Klammern hieße das „jeder Schülerin“ – deshalb stolpert man beim Lesen darüber. Zum anderen funktionieren Schrägstrich und Klammern bei Wörtern mit Umlauten nicht, zum Beispiel „Arzt/Ärztin“. Auch beim Wort „Kollege“ ist diese Verkürzung unpassend, weil „Kolleg“ nicht die männliche Form ist.

 

3 Gendern mit dem Binnen-I

Früher sehr populär und mittlerweile nicht mehr so häufig verwendet, ist das Binnen-I, also „SchülerInnen“.

Das Binnen-I hat den Nachteil, dass es nicht mit den Regeln der Rechtschreibung vereinbar ist: Zum einen kann man nicht einfach an jedes Wort -Innen anhängen. Das geht nur, wenn die männliche Form für sich stehen kann (daher ist „KundInnen“ zum Beispiel als Wort genau genommen nicht zulässig). Zum anderen ist ein Großbuchstabe mitten im Wort in unserer Sprache nicht vorgesehen.

 

Das kann man auch positiv sehen. Denn wenn etwas ohnehin nicht den Regeln entspricht, dann braucht man sich auch keine Gedanken um die Endungen machen und könnte auch „ÄrztInnen“ und „KollegInnen“ damit gendern. Ich persönlich empfehle diese Variante allerdings nicht, da sie eben nicht den Vorgaben des Dudens entspricht.

 

4 Gendern mit Unterstrich (Gendergap), mit Stern oder mit Doppelpunkt

Ebenso wenig vom Duden akzeptiert sind der Gendergap, der Genderstern oder der Doppelpunkt. Dabei findet man gerade die letzten beiden Varianten immer häufiger. Und auch das hat einen Grund: Sie sollen die Vielfalt der Geschlechter repräsentieren, da sie nicht nur weibliche und männliche Personen ansprechen.

 

Interessant wird es beim Stern allerdings dann, wenn die Grammatik nicht mehr stimmig ist, wie zum Beispiel bei „den Leser*innen“, wenn die männliche Form „den Lesern“ heißen müsste. Selbes Spiel wie beim Binnen-I: Wenn es ohnehin nicht den Regeln entspricht, könnte man natürlich den Stern in jeder erdenklichen Form trotzdem verwenden, es wirkt aber bei Wörtern wie „Kolleg*innen“ völlig fehl am Platz und besteht – zu Recht – kein Lektorat.

 

5 Substantivierungen des Partizips I, Partizips II und von Adjektiven im Plural

Diese Formen haben sich zum Beispiel bei den „Studierenden“ oder auch den „Gewählten“ und den „Verwitweten“ bereits etabliert. Sie sind geschlechtsneutral und okay. Gleichzeitig gibt es aber auch Varianten, die seltsam klingen, wie etwa bei den „Zuschauenden“.

 

Was hältst du vom Umformulieren?

Wir können auch auf neutrale Begriffe und Umschreibungen wie „Mensch“ oder „Person“ ausweichen und dürfen dabei ruhig kreativ umformulieren. Auf diese Weise lassen sich oft sperrige Konstruktionen plötzlich wunderschön auflösen, indem wir von „Fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin!“ wechseln auf: „Holen Sie ärztlichen Rat ein!“

 

Generell ist die direkte Ansprache oft ein guter Ausweg: „Jede/-r Teilnehmer/-in muss ... beachten“ wird dann zu: „Beachten Sie bitte …“ Wer bewusst über solche „Ausweichmanöver“ nachdenkt, wird am Ende mit unverkrampft gegenderten Formulierungen belohnt, die kaum auffallen – so wie übrigens hier direkt in diesem Satz.

 


Ziel 5

Welche von diesen vielen Gendervarianten empfiehlst du denn deinen Kundinnen und Kunden? Wenn du völlig freie Wahl hast, wie genderst du dann selbst?

Das kommt immer auf die Textabsicht an. Wenn ich eine E-Mail formuliere, die sich dezidiert an Personen richtet, die ich kenne, und damit etwa nur an zwei Geschlechtergruppen, nehme ich zum Beispiel eher die Beidnennung.

 

Ein Unternehmen hat mich einmal um Rat gebeten, wie die internen E-Mails formuliert werden sollten, da es eine intergeschlechtliche Person im Team gab. Da habe ich empfohlen, einfach direkt nachzufragen. Die Antwort brachte dann eine sehr einfache Lösung: Die Person wünschte sich die männliche Ansprache und die E-Mails funktionierten mit der Beidnennung.

 

Wenn es sich um Texte in einem amtlichen Umfeld handelt oder wir uns streng an die Rechtschreibregeln halten wollen, dann müssen wir dudenkonform mit der Beidnennung oder den anerkannten Verkürzungen arbeiten.

 

Auf meiner Website, wo ich ein sehr anonymes Publikum anspreche, verwende ich gern den Stern – er ist mir persönlich sympathisch und wird von einem Großteil der LGBTQ-Community bevorzugt. So fühlen sich alle angesprochen und im Web müssen wir mit der Dudenkonformität nicht allzu streng sein, denke ich. In der direkten Rede und bei der direkten Ansprache bevorzuge ich die Beidnennung.

 

Und wo immer es möglich ist, versuche ich, auf neutrale Formulierungen auszuweichen, weil wir damit besonders knackig formulieren können – ein Mischmasch also. 

 


Foto von Michaela Summer plus Text: Gegenderte Texte können gut lesbar sein.
Ziel 6

Was würdest du denn Studierenden raten, die in ihrer Bachelorarbeit, Masterarbeit oder Dissertation gendern müssen oder wollen?

Das Einzige, wovon ich in diesem Umfeld ganz vehement abraten würde, ist das Nicht-Gendern! Gerade im wissenschaftlichen Umfeld lässt sich Gendern nicht als Trend abtun. Hier halte ich geschlechtergerechte Sprache für besonders wichtig, viele verlangen hier auch einen sensiblen Umgang.

In meiner eigenen Magisterarbeit vor mehr als fünfzehn Jahren habe ich diesen berühmten „Mitgemeint-Passus“ eingefügt. Das war damals schon fortschrittlich. Heute ist das längst überholt. Dank vieler Studien zur Sprache wissen wir, dass dieser Passus völlig irrelevant beim Lesen eines Textes ist.

 

Wenn dort „Student“ steht, denken wir an einen männlichen Studenten – auch wenn wir im Kleingedruckten im Vorwort gelesen haben, dass wir das nicht tun sollen, weil ja andere Geschlechter mitgemeint wären. Erst wenn dort „Studierende“ steht, haben wir eine vielfältigere Gruppe vor Augen.

 

Die meisten Universitäten und Fachhochschulen haben eigene Leitfäden ausgearbeitet, um eine Richtung vorzugeben, wie mit geschlechtergerechter Sprache in wissenschaftlichen Arbeiten umgegangen werden soll. Das ist natürlich hilfreich. Wenn es keine Vorgaben gibt, würde ich dazu raten, die betreuende Person der Arbeit zu fragen, wie das gehandhabt werden soll. Wenn es dann keine Vorschläge oder Vorgaben gibt, können die Studierenden selbst entscheiden, welche Variante ihnen mehr zusagt.

 


Ziel 7

Und wie hältst du es mit dem Gendern beim Sprechen?

Das ist eine sehr gute Frage. In der gesprochenen Sprache fällt sogar mir persönlich das Gendern schwer. Da bleibt nicht viel Zeit, an den Sätzen herumzufeilen. Neutrale Formulierungen und Beidnennung kommen mir meistens sehr flüssig über die Lippen – das ist für mich persönlich ganz normal.

 

Der Glottisschlag allerdings, diese kleine Sprechpause, die den Stern oder Doppelpunkt in der gesprochenen Sprache verdeutlicht, fällt mir sehr schwer und ich verwende ihn deshalb nicht. Ich fühle mich damit sehr unwohl beim Sprechen und wäre nicht mehr authentisch. Vielleicht ändert sich das noch, vielleicht wird mir der Glottisschlag bald geläufiger. Im Moment versuche ich einfach, auf andere Art alle Geschlechter miteinzubeziehen. 

 


Mag.a Michaela Summer

Foto Michaela Summer
Logo der Wortschneiderei

Michaela Summer hat Kommunikationswissenschaften studiert, als Journalistin und Redakteurin gearbeitet, bevor sie dann in die PR-Branche wechselte. Heute leitet sie mit ihrer Wortschneiderei eine eigene Agentur für Marketing, Pressearbeit und Text in Mödling.

 

Die Wortschneiderei springt da ein, wo die Worte fehlen – egal ob für Website, Pressearbeit oder bei Newslettern. Seit Kurzem bietet Michaela Summer gemeinsam mit einer Kollegin auch einen Workshop an, in dem sie Unternehmen beim Entwickeln von eigenen Genderleitlinien unterstützt. Weitere Gender-Workshops sind in Vorbereitung.

Das gesamte Leistungsspektrum von Michaela Summer findest du hier!

 


Veröffentlicht am 13.5.2023.

Abbildungsnachweis: Fotos von Michaela Summer (c) Gregor Nesvadba