Die Vielfalt der Rechercheinstrumente

Ein Interview mit Andrea Brandstätter von der UB Wien

Für die Literatursuche steht heute eine Fülle von Rechercheinstrumenten zur Verfügung. Allerdings ist es gar nicht so einfach, sich innerhalb dieses Angebots zurechtzufinden. Darum freue ich mich, dass ich mit Andrea Brandstätter, Mitarbeiterin der UB Wien, eine erfahrene Bibliothekarin für ein Interview gewinnen konnte.

In Kontakt gekommen sind wir übrigens über eine Frage, die ich vor Kurzem an das Helpdesk geschickt habe. Es ging um die Erfassung von Zeitschriftenartikeln in u:search, dem Hauptkatalog der UB. Wenig später stellten wir dann fest, dass wir uns auch schon einmal persönlich begegnet waren, nämlich auf einem Arbeitstreffen vor etwas mehr als zehn Jahren. So kann’s geh’n!

 

Warum ich das Interview so interessant und lehrreich finde?

Weil es einen Überblick über die Rechercheinstrumente gibt, vor allem aber auch tiefergehende Einblicke in die Funktionsweise einer Bibliothek. Oder weißt du, was der Begriff "Discovery Tool" meint und warum manche Publikationen englische Schlagwörter haben? 

Also, liebe Frau Brandstätter, was genau ist Ihr Aufgabenbereich? Was mögen Sie besonders an Ihrem Job?

Foto Andrea Brandstätter UB Wien

Ich leite in der Universitätsbibliothek Wien das Team „Bibliothekssysteme“, das aus sechs Personen besteht. 

 

Wir kümmern uns um das Bibliotheksverwaltungssystem Alma und um das Discovery Tool Primo, das die Studierenden unter dem Namen u:search kennen und das bei der Suche in der UB häufig die erste Anlaufstelle ist. 


Mir gefällt der Gedanke, dass Bibliotheken Informationsmaterialien einem größeren Publikum zur Verfügung stellen und damit eine wichtige Aufgabe in der heutigen Informationsgesellschaft haben. An der Arbeit im Systemteam gefällt mir der technische Aspekt der Bibliotheksarbeit, das heißt, mit Systemen zu tun zu haben, die Daten verarbeiten.

 

u:search

Die UB Wien bietet drei unterschiedliche Recherchemöglichkeiten an: u:search (Mediensuchmaschine), Datenbanken (Datenbankservice) und Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB).

Wann sollten Studierende welches Rechercheinstrument nutzen?

Diese drei Rechercheeinstiege sind die bekanntesten und sicherlich die zentralen Einstiegspunkte. u:search eignet sich besonders für die thematische Suche, das heißt, wenn ich Literatur zu einem bestimmten Thema brauche. Wenn Studierende eine Uni-Arbeit schreiben, ist das meistens der erste Einstieg bei ihrer Suche nach Literatur.

 

Ein derartiges Tool für den Start in die Recherche bieten übrigens alle großen Bibliotheken, nur heißt es jeweils anders: QuickSearch in der Österreichischen Nationalbibliothek, in der Staatsbibliothek Berlin StabiKat und in der Universitätsbibliothek Zürich swisscovery

 

Überdies empfehlen wir, mit Datenbanken zu arbeiten. Datenbankservice hilft, Fachdatenbanken zu identifizieren, die bei fachspezifischen Suchen hilfreich sein können. Für die Anglistik benötigt man andere Datenbanken als für die Soziologie.

 

Die Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB) wiederum ist die erste Anlaufstelle, wenn man ein Zitat aus einer Zeitschrift erhalten hat – etwa für eine Aufgabe im Rahmen einer Lehrveranstaltung. Dann kann man über die Zeitschriftentitelsuche oder die Suche nach der ISSN schnell feststellen, ob die UB Wien diese Zeitschrift lizenziert, also ob sie bei uns greifbar ist.

 

Könnten Sie bitte den Unterschied zwischen Datenbanken und der EZB erklären? Mir ist der nämlich nicht ganz klar, und ich vermute, dass es vielen Studierenden ähnlich geht.

Screenshot Datenbankservice

Es ist hilfreich, im ersten Schritt zu verstehen, welche zwei Arten von Datenbanken es gibt, nämlich erstens Faktendatenbanken und zweitens Referenzdatenbanken oder bibliografische Datenbanken.

 

Fakten- oder auch Referenzdatenbanken helfen, Fakten zu einem bestimmten Fachgebiet zu recherchieren. 

 

Referenzdatenbanken oder bibliografische Datenbanken unterstützen bei der Suche nach Literatur zu einem bestimmten Fachgebiet; das machen sie mithilfe der für das jeweilige Fachgebiet passenden Suchinstrumente wie dem Fachthesaurus oder der Fachklassifikation.

 

Über das Datenbankservice gelangt man zu einer Auflistung aller Datenbanken nach Fachgebieten (siehe Abbildung).

 

Ich empfehle Studierenden, einmal alle Datenbanken ihres Fachbereichs grob durchzusehen, um zu wissen, was es alles an Recherchemöglichkeiten hier gibt. Abhängig vom Thema, dass es zu bearbeiten gilt, können sie dann tiefer in die Recherche einsteigen. 

EZB

Die EZB ist keine Datenbank, sondern eine Auflistung aller im deutschen Sprachraum vorhandenen elektronischen Zeitschriften samt Hinweis zu deren Verfügbarkeit an einer bestimmten Institution wie eben der UB Wien. Hier kann man unter anderem nachschauen, welche Zeitschriften es in welchen Fachgebieten gibt, von Agrar- und Forstwissenschaft über Archäologie, Chemie, Geschichte, Psychologie bis zu Wissenschaftskunde.

 

Und welche spezielleren Recherchemöglichkeiten gibt es?

An spezielleren Sucheinstiegen gibt es zum Beispiel u:theses für die gezielte Recherche nach Hochschulschriften der Universität Wien.

 

Weiterhin haben wir Phaidra, das Repositorium der Universität Wien, in dem digitalisierte Bücher, Forschungsergebnisse, Publikationen, Sammlungen etc. zu finden sind. Eine eigene Suchoberfläche für digitalisierte Bestände der Universitätsbibliothek Wien ermöglicht hier etwa die geografische Suche nach Digitalisaten, die einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Region zugeordnet sind.

 

Es zahlt sich aus, sich auch mit den Spezialrecherchemöglichkeiten zu beschäftigen. Je vertrauter Studierende mit der Recherche sind, desto leichter kommen sie mit ihren Projekten voran. Recherchieren kann nämlich auch Spaß machen! 

In u:search sind auch Aufsätze, also unselbstständige Publikationen erfasst, aber wie lückenlos?

Ja, richtig, in u:search sind Aufsätze aus Büchern und Artikel aus Zeitschriften erfasst und suchbar. Wie lückenlos, lässt sich aufgrund der historischen Genese nur schwer feststellen.

 

Bereits vor Einführung von u:search im Jahr 2010 wurden im klassischen OPAC durch Kataloganreicherung Inhaltsverzeichnisse von Sammelbänden, Zeitschriften und anderem durchsuchbar gemacht. Sukzessive kamen Abstracts und Ähnliches hinzu. Seit der Einführung von u:search und der damit verbundenen Möglichkeit, auch externe Datenquellen anzubinden, kann man nach noch mehr unselbstständiger Literatur, also Artikeln, Aufsätzen und anderem, recherchieren.

 

Früher hieß es immer: „Nutze im ersten Schritt den OPAC und dann noch Zeitschriftendatenbanken.“ Ist es heute noch korrekt, u:search als OPAC zu bezeichnen? Wenn nein, was genau ist u:search und gibt es dafür einen Sammelbegriff, denn genau genommen hat ja jede große Bibliothek eine Hauptsuchmaschine.

Die korrekte Bezeichnung für Rechercheinstrumente wie u:search ist Discovery Tool. Dahinter verbirgt sich auch ein Paradigmenwechsel in der Recherche selbst.

 

Diese Änderung lässt sich am einfachsten an der Ergebnisliste nach einer Rechercheanfrage feststellen: Im Discovery Tool werden Ergebnisse nach einer arithmetisch ermittelten Rangfolge präsentiert. Der Suchbegriff oder die Suchbegriffe werden bei der Anfrage durch spezielle Filter so aufbereitet, dass sie zum Beispiel auf ihre Grundform (Stemming) reduziert oder Stoppwörter (der, die, das, und, oder ...) herausgefiltert werden.

 

Der klassische OPAC, genauer gesagt dessen Ergebnisliste ist immer nach einem bestimmten Kriterium – etwa dem Titel oder dem Erscheinungsjahr – sortiert und wenn es keine Übereinstimmung mit dem Suchbegriff gibt, kann das Ergebnis unter Umständen auch null sein.

 

Wer entscheidet in der UB, was angekauft wird und was nicht? Und was passiert nach dem Ankauf eines Titels? Wie funktioniert eine Verschlagwortung?

An der Erwerbung sind mehrere Abteilungen/Teams bzw. Fachreferent*innen und Leiter*innen der Fachbereichsbibliotheken beteiligt. Die Strategie lautet zwar, dass vorzugsweise E-Ressourcen erworben werden, aber letzten Endes spielen bei der Ankaufentscheidung viele Faktoren eine Rolle: Wunschbuch, Lehrbuch, Kosten, um nur einige zu nennen. 

 

Was nach dem Ankauf passiert, hängt davon ab, ob es sich um einen Printtitel oder eine E-Ressource handelt. Fachreferent*innen sorgen dafür, dass möglichst alle Titel regelkonforme Schlagwörter und Schlagwortfolgen erhalten. Allerdings übernehmen wir auch viele Fremddaten, die schon Elemente der Sacherschließung aufweisen. Bei der Lizenzierung von E-Book-Paketen sind wir sogar auf die Übernahme angewiesen, da wir so große Mengen an Publikationen, die binnen kürzester Zeit verfügbar sind, manuell nicht selbst zeitgerecht bewältigen könnten.

 

Wenn ich mir anschaue, wie Publikationen verschlagwortet werden, fällt mir auf, dass es inzwischen jede Menge englischsprachige Schlagwörter neben deutschsprachigen gibt. Wie kommt das?

Dass sich auch englischsprachige Schlagwörter finden, liegt an der Einbindung von Fremdquellen bzw. der Fremddatenübernahme.

 

Es gibt heute ausgezeichnete Möglichkeiten für die Recherche nach Literatur. Gleichzeitig mache ich die Erfahrung, dass Studierende immer weniger ausschöpfen, sondern sich bei ihrer Recherche ausschließlich auf Google und Google Scholar stützen. Wie kommt das? Wie gehen Sie in der UB damit um?

Wenn es ausreicht, für eine Lehrveranstaltung Informationen aus dem Internet mit Google abzugreifen, wieso sollten sich Studierende die Mühe machen, eine Bibliothekssuchmaschine für die Recherche zu verwenden? Sobald Studierende allerdings eine Hausarbeit, Bachelorarbeit, Masterarbeit etc. schreiben, kommen sie nicht umhin, mit unseren Recherchetools zu arbeiten.

 

Studierende müssen am Anfang sicher auch erst einmal ein Gefühl dafür bekommen, was eine Bibliothekssuchmaschine wie u:search leistet. 

 

Studierende lernen, dass sie bei uns Bücher, Zeitschriften und anderes finden, das sie entlehnen können (was natürlich eine Bestellung und den Gang in die Bibliothek voraussetzt), wie sofort nutzbare Online-Ressourcen. Die Statistik zeigt, dass die Suchanfragen konstant steigen. Wer u:search einmal für sich entdeckt hat, verwendet unsere Suchmaschine also anscheinend auch weiterhin.

 

Ich denke auch nicht, dass es sinnvoll ist, mit Google zu konkurrieren. Wichtiger ist es aus meiner Sicht, als kompetenter und zuverlässiger Informationsbroker wahrgenommen zu werden, der sich um die Datenqualität und -aufbereitung der angebotenen Informationsressourcen proaktiv kümmert.

 

Wenn wir zum Beispiel kontaktiert werden, dass ein Link zu einer E-Ressource nicht funktioniert oder ein Titel im Magazin nicht auffindbar ist, gehen wir jeder dieser Anfragen nach. Im Sinne unserer Benutzer*innen bemühen wir uns immer um eine Lösung oder einen Lösungsvorschlag. Das kann Google nicht bieten!

 

Studierende denken oft, dass sie sich die Literatur komplett ergoogeln können. Warum klappt das nicht? Warum sind Bibliotheksbestände nicht googelbar? Wäre doch praktisch!

Manche Bibliotheken sind mit Teilbeständen aktiv in Google vertreten. Aber dazu muss man auch die Bestandsdaten an Google regelmäßig liefern oder von Google abholen lassen. Das heißt, man gibt nach dem Erwerb von Medien Daten gewissermaßen an Google weiter. Und das machen längst nicht alle Bibliotheken!

 

Zu bedenken ist auch, dass Bibliotheken keine kommerziellen Datenlieferanten sind, und damit gehören sie nicht zur Fokusgruppe von Google. Dieser Umstand spiegelt sich auch im Ranking der Ergebnisse wider.

 

Klar, Google Scholar ist ein bisschen anders. Trotzdem: Auch hier wird die Ergebnisliste anhand der errechneten Relevanz präsentiert. Das heißt, ich erhalte zu meinem Suchbegriff Treffer der unterschiedlichsten Datenlieferanten.

 

Aus meiner Sicht lohnt es sich für eine Bibliothek mit der Kernaufgabe, Studierende, Lehrende und Forschende der Stammeinrichtung mit Informationsressourcen zu versorgen, kaum, in die Auffindbarkeit bei Google zu investieren.

 

Wie sieht es eigentlich in den Lesesälen der UB aus? Immer mehr Literatur ist online greifbar. Da müssen Studierende doch gar nicht mehr zu Ihnen kommen. Oder? 😊

Die Universitätsbibliothek Wien ist sehr beliebt, das heißt, Studierende schätzen die besondere Atmosphäre als Lern-, aber auch Kommunikationsort und Treffpunkt. Besonders zur Prüfungszeit werden wir regelrecht überrannt. 

 

Für einige Lesesäle, wie den großen Hauptlesesaal, bieten wir deshalb inzwischen auch ein Buchungssystem an. Damit können sich Studierende unentgeltlich einen Platz reservieren.

 

Natürlich erscheint nach wie vor viel auf Papier und von den älteren Publikationen ist nur ein Bruchteil digitalisiert. Wer eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, kommt in der Regel nicht umhin, in die Bibliothek zu gehen.

 

KI führt aktuell zu großen Veränderungen. Das betrifft auch die Recherche nach wissenschaftlicher Literatur. Wohin könnte der Weg hier in den nächsten Jahren führen? Was befürchten Sie, worauf freuen Sie sich?

Roboter als Bild für KI.

KI, besser gesagt generative KI, erlebt derzeit einen Hype. Tatsache ist aber, dass KI bereits eingesetzt wird, egal, wie man sie definiert. Und generative KI ist quasi erst in den Startlöchern.

 

Bezüglich des Einsatzes von generativer KI und Large Language Models (LLMs) sind noch viele rechtliche, finanzielle und ethische Aspekte zu klären, bevor es zur großflächigen Anwendung kommen kann.

 

Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf etwas Bestimmtes bei KI freue, denn brauchbare KI-Tools werden sich wie bisher sukzessive in vielen Bereichen durchsetzen. Was ich kritisch sehe, ist der Fachkräftemangel oder vielmehr der allgemeine Mangel an Personen mit einer fundierten Kenntnis über KI.

 

Was sind die Unterschiede zwischen einem KI-Recherchetool und den Rechercheinstrumenten, die Sie in der UB Wien anbieten?

Um diese Frage zu beantworten, müsste man zunächst eine Definition von KI haben. Ich bin der Meinung, dass u:search schon viele Basisfunktionen von KI aufweist.

 

Wenn wir die Frage so stellen: „Was ist der Unterschied zwischen generativer KI und einer Bibliothekssuchmaschine?“, wird es etwas leichter und auch klarer:

Generative KI soll Unmengen unstrukturierter Daten bzw. Texte durchforsten, um neue Inhalte zu generieren. Deshalb „phantasiert“ generative KI gelegentlich, weil es ja ihre grundsätzliche Aufgabe ist, Neues zu generieren.

 

Bibliothekssuchmaschinen durchsuchen strukturierte und semistrukturierte Daten. Ein Algorithmus versucht die größte Übereinstimmung rechnerisch zu ermitteln und präsentiert dann eine Liste an gerankten Zitaten.

 

Damit das funktioniert, werden die zugrundeliegenden Daten durch zum Beispiel Tokenizer und Filterschnitte vorverarbeitet. Nur so kann dieses Ranking funktionieren. Der Leser oder die Leserin kann sich dann Informationsressourcen herauspicken und daraus neues Wissen durch Lesen generieren.

 

Welchen Tipp haben Sie abschließend für Studierende, die bislang kaum oder noch überhaupt keine Rechercheerfahrung haben?

Die Universitätsbibliothek Wien bietet eine Fülle an Schulungen und Führungen an. Ich würde alle Studierenden dazu ermutigen, diese Angebote in Anspruch zu nehmen oder unsere Kolleg*innen an den Standorten um Unterstützung zu bitten, wann immer eine Frage rund um Literatur, Informationsressourcen oder andere Services der Bibliothek auftaucht.

 

 

Mag. Andrea Brandstätter

Andrea Brandstätter hat an der Universität Wien Völkerkunde und Sinologie studiert. Sie arbeitet seit 2001 an der Universitätsbibliothek Wien und leitet hier seit 2022 das Team Bibliothekssysteme. Derzeit studiert sie berufsbegleitend Bibliotheksinformatik an der Technischen Hochschule Wildau.


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Veröffentlicht am 7.4.2024.

 

Abbildungsnachweise: UB Wien, Hauptlesesaal mit Studierenden: (c) Georg Schroll, Univ. Wien Kommunikationsabteilung | leerer Hauptlesesaal: (c) Mirjam Amalthea | 3D-Rendering-Roboter: Shutterstock.com, Bildnummer 1154457493, (c) Phonlamai Photo | Foto Andrea Brandstätter: (c) ajrets